Zerstörte Friedhofsmauer

Ohne vorherige Ankündigung lässt das Straßen- und Grünflächenamt Pankow eine Mauer mit historischen Erbbegräbnissen abreißen

Marcel Chartron und Wolfgang Kase stehen fassungslos vor dem Grabmal ihrer Vorfahren auf dem IX. Friedhof in Französisch Buchholz. Der Zaun, der die Grabstelle umfasste, ist weg. Eine grüne Markierung wurde auf den Sockel gesprüht. Die Gräber nebenan sind dem Erdboden gleichgemacht, der Boden ringsum aufgewühlt. Hier haben in den vergangenen Tagen Bagger gewütet.

Das Schlimme daran: Der politisch Verantwortliche im Bezirksamt Pankow, Bezirksstradtrat Vollrad Kuhn (Grüne), wusste angeblich mal wieder von nichts. Nicht das erste Mal, dass sich Kuhn weg duckt, wenn es in seinem Amt drunter und drüber geht.

Kulturelles Erbe einfach zerstört

Die Mauer auf dem Friedhof am Rosenthaler Weg, die aus historischen, teils opulent ausgestalteten Erbgräbern besteht, muss abgerissen werden, heißt es vom Pankower Grünflächenamt, sie sei nicht mehr standsicher, Doch informiert wurden die Buchholzer über den drastischen Schritt nicht.

Mehrere Dutzend Menschen haben sich an diesem nasskalten Donnerstagmorgen auf dem Kirchhof eingefunden, sie wollen nicht hinnehmen, dass das kulturelle Erbe des Ortes, an dem einst Hugenotten siedelten, nun zerstört wird. Dort, wo die Straßen die Namen derer tragen, deren Ruhestätten nun niedergerissen werden, regt sich Protest.

Baustopp kommt zu spät

„Am Montagfrüh hat mich eine Bürgerin angerufen“, erzählt Anne Schäfer-Junker, die Ortschronistin in Buchholz. „Wir müssen was machen, sagte sie, die reißen die Mauer ab.“ Spontan wird eine Mahnwache organisiert. Auf die herumliegenden Steinbrocken stellen die Buchholzer Kerzen und versuchen, ihrem Ärger darüber, übergangen worden zu sein, Gehör zu verschaffen.


So sah die Mauer vorm Abriss aus.

In der Bezirksverordnetenversammlung erwirken sie einen einstimmigen Beschluss über einen vorläufigen Baustopp. Doch der kommt zu spät. Obwohl sich Buchholzer wie Lars Bocian, Mitglied im Bürgerverein, den Baggern persönlich entgegenstellen, tun diese, was laut Amtsorder getan werden soll.

Neue Begegnungszone geplant

Bis auf zwei kleinere Segmente ist ein Großteil der ursprünglichen Mauer nun abgetragen. Nur wenige Teile aus Sandstein oder Granit liegen an der Seite. Sie sollen, so eine Mitarbeiterin des Straßen- und Grünflächenamtes, später in einer neuen Begegnungszone auf dem Friedhof integriert werden. Sandsteinblöcke könnten dann als Sitzelement, Bruchstücke aus Granit als Wasserschalen dienen. Viele, die hier öfter herkommen, finden das nicht angemessen.

Französisches Flair

Die Chartrons, die Mathieus, die Cunis, die Guyots und wie sie alle heißen, prägen das Ortsbild von Buchholz bis heute, ihre Nachfahren leben noch immer hier. „Französisch-Buchholz ist ein Dorf mit französischem Flair, aber von märkischer Derbheit“, heißt es in der Dorfchronik über die Ansiedlung der Hugenotten.

Das waren Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, denen als Protestanten der Verlust ihres Hab und Gutes und ihres Lebens angedroht wurde, wenn sie sich nicht zur katholischen Kirche rückbekennen würden. Mit ihnen entwickelte sich Buchholz zu einem prosperierenden Ort. Die 17 französischen Familien, die wegen ihres Glaubens die Heimat verlassen hatten, stellten gegen 1688 ein Drittel der Bevölkerung.

Vollendete Tatsachen statt Bürgerdialog

Die Chartrons – oder nach früherer Schreibweise Chatrons – leben noch heute in der Nähe und sind richtig sauer. „Wir dachten, dass die Grabstätte unter Denkmalschutz steht“, sagt Wolfgang Kase. Auch andere Buchholzer, die regelmäßig zum Friedhof kommen, sind entsetzt.

„Wir waren begeistert, als wir herzogen, und haben überlegt, ob man nicht so ein Erbgrab kaufen könnte“, sagt eine Besucherin. Es werde immer über Bürgerdialog geredet, und dann werde man vor vollendete Tatsachen gestellt, wirft Anwohner Manfred Meisel ein. „Hier wird Geschichte vernichtet“, sagt er.

Kein lebendiges Interesse bemerkt

Andreas Johnke, der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, stellt sich den Einwänden und übt sich in Schadensbegrenzung. Die Mauer bereite schon länger Probleme, ein Gutachten habe im April zwei Optionen dargelegt: die Sperrung der angrenzenden Straße oder den Rückbau der Grabmale. „Es entstand unmittelbarer Handlungsdruck“, sagt Johnke.

Aus Geldmangel sei nur ein Rückbau infrage gekommen, nicht aber eine kleinteilige Sicherung. Und so rückten die Bagger an. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass es an den Gräbern ein „lebendiges Interesse“ gegeben habe, so Johnke weiter.

Vertrauensbruch eingetreten

Warum es aber seit April nicht gelang, die Bürger vor Ort ins Boot zu holen, dafür gibt er keine Erklärung. Dies sei unglücklich gelaufen. Dabei hätten die Buchholzer durchaus Ideen gehabt, wie man gemeinsam etwas bewegen könnte. Die Pfarrerin der Gemeinde hätte sich beispielsweise vorstellen können, eine Spendenaktion zu starten. „Nun ist der Vertrauensbruch da“, sagt Susanne Brusch.

„In anderen Zusammenhängen würde man hier von Vandalismus sprechen“, sagt der ehemalige Pfarrer Martin König. „Ein Friedhof ist identitätsstiftend für einen Ort.“ Er erwarte eine Entschuldigung bei den Bürgern von Buchholz.

Absolute Transparenz und dass man bei allen weiteren Schritten mitgenommen werde, sei das Mindeste. Innerhalb von wenigen Stunden haben bereits 250 Anwohner einen Antrag zum Wiederaufbau der Mauer mit den nicht zerstörten Teilen unterschrieben.

Datum: 29. November 2020, Text: Stefanie Hildebrandt/Redaktion, Bilder: privat, Anne Schäfer-Junker