Warum Jessica Sonnenschein einen Waffenschein hat
Die Handwerker anderer Gewerke auf einer Baustelle schauen schon mal verwundert oder skeptisch, wenn Jessica Sonnenschein dort in Arbeitskluft und mit einer großen Teppichrolle über der Schulter auftaucht. Frauen sind selten im Beruf des Bodenlegers. Die 33-Jährige vermutet sogar, dass sie die einzige ist. Denn die Arbeit verlangt Körperkraft: Die Eimer mit Ausgleichsmasse zur Vorbereitung der Böden sind schwer, Parkettpakete und Teppichrollen nicht minder. Auch für das Schneiden des Belages und Schleifen von Parkett oder für das „Klicken“, das Auskratzen der Kantenfugen, braucht man Muskeln.
Soziales Jahr
Als Jessica Sonnenschein 2003 die Schule beendet hatte, wusste sie nicht so richtig, was sie werden wollte. Sie absolvierte ein soziales Jahr, arbeitete in der Gastronomie und bekam ihr erstes Kind, eine Tochter. Nach der Elternzeit folgte sie dem Rat einer Angestellten des Jobcenters, Raumausstatter-Lehre zu machen. Das entsprach ziemlich genau ihren Vorstellungen: Sie wollte etwas mit den Händen machen.
„Bodenleger“ war neben Wand und Decke, Polstern, Dekoration sowie Sonne und Lichtschutz einer von fünf Bereichen der Raumausstatter-Lehre, in denen sie ausgebildet wurde. Bei den Praktika während der Lehrzeit arbeitet sie in einem Betrieb für Schaufenstergestaltung, was ihr zugesagt hätte. Aber da bekam sie keine Stelle – und nach der dreijährigen Lehre ihr zweites Kind.
Vornehme Aufträge
Den Job nach der Elternzeit für ihren Sohn hat sie einem Zufall zu verdanken. Schon als junges Mädchen trieb Jessica Sonnenschein ziemlich viel Sport, spielte Handball und Volleyball und war als ehrenamtliche Ordnerin bei Fußballspielen aktiv. Einer ihrer Bekannten beim Ordnerteam warb sie für eine Tätigkeit bei einer Wach- und Sicherheitsfirma. Sie jobbte dort an einigen Wochenenden, dann legte sie die erforderlichen Prüfungen ab und machte auch den Waffenschein.
Mit dieser Qualifikation wurde Jessica Sonnenschein bei einer Firma für Objekt- und Personenschutz eingestellt. „Weil ich mit meinem Äußeren – ohne sichtbare Tattoos, ohne Piercing – auch vorzeigbar war,“ erzählt sie lachend, „bekam ich die eher vornehmen Aufträge.“ Was heißt, dass sie etwa bei der Bambi-Verleihung oder der Berlinale am roten Teppich stand, wo George Clooney mit seiner Frau Amal oder John Cusack an ihr vorbeizogen. Dieser Job hat Jessica Sonnenschein Spaß gemacht. Das Problem war dann zum Teil das schlechte Arbeitsklima in der Firma, aber vor allem die Arbeitszeiten. Schließlich fanden die Einsätze meistens abends oder auch nachts statt.
Neue Liebe
Als die alleinerziehende Mutter kurze Zeit später jedoch ihren neuen Lebenspartner Frank kennenlernte, schloss sich auf fast wundersame Weise wieder der Bogen zu ihrer Ausbildung als Raumausstatterin – ihr Freund ist Bodenleger. Ihr Lebenspartner erzählte seinem Chef von seiner neuen Liebe und deren Ausbildung. Der wiederum schickte sie mit Frank probeweise auf einige Baustellen. Was sie damals nicht konnte, lernte sie rasch. Sie arbeitete präzise, konnte rechnen und gut mit den Werkzeugen umgehen. Der Chef stellte sie ein.
Jessica Sonnenschein erzählt ihre Geschichte klar, schnell und mit viel Lachen. Sie zeigt Fotos von den Kindern und ihrem Freund. Mit Frank ist sie in einem Kegel-Club. Den Sohn begleitet sie zum Football-Training als Team-Betreuerin. Alles läuft bestens. Zudem trägt sie auch noch einen solch schönen Namen.
Datum: 25. August 2019 Bild: Sabine Gudath Text: Martina Doering