Aurick Günther kocht in seiner „Volkskammer“ in Berlin-Friedrichshain alte DDR-Gerichte nach
Aurick Günther ist Chef des Restaurants Volkskammer in Friedrichshain. Er hat sich auf Gerichte spezialisiert, die zu DDR-Zeiten beliebt waren und zeigt damit, dass es dort auch Gutes gab. Wer die Speisekarte aufschlägt, landet im Kapitel „Deutsche, deftige Relikte aus der Pfanne und dem Ofen“ bei „Jägerschnitzel: panierte Jagdwurst mit Spirelli und Tomatensoße, 10,50 Euro“.Manchmal passiere es trotzdem, dass Gäste aus dem Westen in das Lokal kommen, ein Jägerschnitzel bestellen und staunen, wenn es serviert wird. „Aber dann schmeckt es ihnen doch – und das ist das wichtigste“, sagt Günther.
Geweckte Erinnerungen
Die Volkskammer ist Günthers ganzer Stolz und eine der wenigen Einrichtungen, in denen es nicht darum geht, an die Schattenseiten der DDR zu erinnern. Stattdessen kommen in dem Restaurant die Gerichte von damals auf den Tisch. Aurick Günther, 50 Jahre alt, ist Geschäftsführer und Chefkoch, hat sich mit dem Lokal einen Traum erfüllt. Wer den Blick schweifen lässt, entdeckt Erinnerungen an eine Zeit, die vor 30 Jahren endete: Telefone, Plattenspieler, Wimpel, im Nebenraum zeigt ein Wandbild den Palast der Republik in voller Pracht. Und von den Wänden blicken Honecker, Mielke und Ulbricht.
Ohne Meisterbrief
Günther wurde 1969 geboren und wuchs in Friedrichroda auf, einer Kleinstadt im Kreis Gotha in Thüringen. Eigentlich wollte er Sport und Musik studieren, „aber früher hatten ja die Eltern die Gewalt über die Kinder“. Er lächelt sein verschmitztes, nettes Lächeln. Mit einer Karriere als Koch habe er sich erst nicht anfreunden können, „aber mein Vater sagte, was gemacht wird“.
Sein Vater arbeitete im August-Bebel-Heim, einem FDGB-Ferienheim mit 1.600 Betten, also ging auch Günther dort in die Lehre. Vom Meisterbrief riet ihm sein Vater nach der Wende ab, stattdessen begann Günther, durch Hotels und Restaurants zu tingeln. Er habe immer lernen wollen – wenn sich die Arbeit in einem Betrieb eingeschliffen hatte, wechselte er.
Erste Station war das Xantener Eck in Charlottenburg. „Dort musste ich die Zähne zusammenbeißen. Als Ossi-Koch hätten mich die anderen lieber nur von hinten gesehen.“ Später kochte er im Adlon, im Café Leander in Friedrichshain und anderen Lokalen. Jahre nach der Wende kam er zur 2010 eröffneten Volkskammer, weil er weg wollte von gehobener Küche. „Ich begann 2014 als Koch. Ein Jahr später fragte ich den Eigentümer, ob er verkaufen will.“
Rezepte erhalten
„Wir kochen sie so, wie es damals gemacht wurde, aus Tomatenmark, Ketchup, Wasser.“ Würzfleisch und Soljanka, zwei Klassiker der Ost-Küche, sind und bleiben Chefsache. „Die bereite ich seit Jahren selbst zu, da lasse ich niemanden ran“, sagt Günther. Die Zutaten von damals gibt es nicht mehr, den Geschmack der Speisen möchte er dank alter Rezepte dennoch erhalten, so gut es geht. Denn davon lebt das Restaurant: von guten Erinnerungen an eine Zeit, an die viele nicht gern zurückdenken.
An die Geborgenheit, die ein Topf Soljanka auf Omas Herd ausstrahlte, an den Geschmack der Tomatensoße, die es in der Schule gab. „Die Erinnerungen an die Speisen werden noch heute von Generation zu Generation weitergegeben.“ Das Konzept funktioniert: Längst sitzen nicht nur Gäste aus der DDR an den Tischen, auch Touristen aus aller Welt kosten in der Volkskammer, wie es zu Honeckers Zeiten schmeckte.
Datum: 17. Oktober 2019 Text: Florian Thalheim Bild: Volkmar Otto
Dieser Beitrag entstand mit Unterstützung der Berliner Zeitung