Auch die Arche-Häuser in Berlin mussten schließen, jetzt gibt es Hausbesuche
Sham hat noch keinen Kitaplatz. Deswegen ging das Kind einer syrischen Flüchtlingsfamilie drei Monate lang in die Einrichtung der Arche in der Tangermünder Straße in Hellersdorf. Das Mädchen wurde dort betreut. Sham bekam jeden Tag ein warmes Essen, konnte mit anderen Kindern spielen und sich Märchen erzählen lassen.
Seit einer Woche sind wegen der Pandemie nicht nur die Geschäfte dicht, sondern auch die deutschlandweit 27 Zweigstellen des christlichen Kinder- und Jugendhilfswerks „Die Arche“. Bernd Siggelkow hat die Stiftung 1995 gegründet. Die Organisation bietet Kindern aus armen Verhältnissen kostenlos Essen, Hilfe bei den Hausaufgaben und Freizeitaktivitäten an. Nun versuchen die Arche-Mitarbeiter die 4000 Kinder und Jugendlichen und deren Familien, die sie normalerweise betreuen, auf anderen Wegen zu unterstützen. Kommen die Kinder nicht zur Arche, dann kommt die Arche zu den Kindern. Das ist Siggelkows Plan in diesen Zeiten.
Offensichtliche Dankbarkeit
Shams Vater öffnet die Haustür, dann nimmt er seine Tochter auf den Arm und läuft die vier Treppen hinauf. In einigem Abstand folgen Sina Wollmann, die den Korb mit den Spielsachen trägt, und Bernd Siggelkow, der befürchtet, dass der Griff der schweren Tüte reißen könnte. Oben angekommen, werden Korb und Tüte vor die offene Wohnungstür der Familie Alsjouri abgestellt.
Seit einem Jahr lebt die Familie in Hellersdorf. „Das ist für euch“, sagt Sina Wollmann. Mohamed Alsjouri sagt Danke, immer wieder, und neigt dazu ein wenig den Kopf. Seine Frau lächelt und nickt. Sie spricht kaum Deutsch. Shams Eltern arbeiten noch nicht. Erst müssen sie ihren Deutschkurs beenden.
Sina Wollmann kennt diese Szenen offensichtlicher Dankbarkeit bei Menschen, wenn die Arche-Mitarbeiter vor der Tür stehen. Fünf Familien besucht Wollmann jeden Tag, sie bringt ihnen das Nötigste zum Überleben mit. Die 36-jährige Erzieherin hat 2008 ein Praktikum bei der Arche absolviert, dann arbeitete sie jahrelang in einer Kita mit 200 Kindern. 2016 kehrte sie zur Arche zurück, weil es „hier familiärer und herzlicher“ zugehe.
Kleine Kochkurse
Auf dem Weg nach unten erzählt Sina Wollmann, dass sich an den Wohnungstüren in den vergangenen Tagen herzzerreißende Szenen abgespielt hätten. Es habe Tränen auf beiden Seiten gegeben. „Vor allem den Kleinen ist schwer zu vermitteln, warum wir sie nicht mehr in den Arm nehmen, warum sie nicht mehr zu uns kommen dürfen.“ Dann geht es auch schon zur nächsten Adresse.
200 bis 300 bedürftige Familien aus Marzahn-Hellersdorf besuchen die Arche-Mitarbeiter nun jede Woche ein- bis zweimal, darunter viele kinderreiche Familien und alleinerziehende Mütter. Sie bringen Lebensmittel, Waschpulver, Spielzeug und gespendete Smartphones, mit denen die Erzieher und Lehrer der Arche in Zeiten von Corona mit den Kindern in Kontakt bleiben. Sei es beim täglichen Life-Chat mit Spielen, Rätseln oder kleinen Kochkursen, sei es bei der Hausaufgabenhilfe oder in Whatsapp-Gruppen. Kein Kind soll sich alleingelassen fühlen, sagt Siggelkow. Auch in den anderen Einrichtungen der Arche wird dieses Angebot gemacht.
Datum: 30. März 2020 Text: Katrin Bischoff Bild: Markus Wächter
Der vollständige Beitrag In Corona-Zeiten von Tür zu Tür: Unterwegs mit der Arche erschien am 27. März 2020 in der Berliner Zeitung