Innensenatorin Spranger hat den Bericht des Verfassungsschutzes für 2023 vorgestellt.
Innensenatorin Spranger hat den Bericht des Verfassungsschutzes für 2023 vorgestellt. Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin (dpa/bb) – Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und der Nahost-Konflikt waren nach Einschätzung des Berliner Verfassungsschutzes die dominierenden Themen aller extremistischen und verfassungsfeindlichen Gruppen im vergangenen Jahr in Berlin. Das Thema Nahost habe die Aktivitäten von Extremisten «beeinflusst und intensiviert», sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei der Vorstellung des Jahresberichts des Berliner Verfassungsschutzes für 2023. «Die Bedrohung für die Demokratie hat in fast allen Bereichen zugenommen.» Es gebe in dem Gebiet dynamische Entwicklungen.

«In allen Phänomenbereichen wurden der Terror der Hamas und die israelische Reaktion darauf benutzt, um Hass auf Juden und den Staat Israel zu schüren. Verfassungsfeinde waren und sind in Berlin zentrale Treiber von Antisemitismus», sagte Spranger weiter. Das gelte natürlich für Islamisten, aber auch für Rechtsextremisten und Teile der Linksextremisten. 

Enthemmter Antisemitismus und Israelfeindlichkeit 

Spranger betonte, im vergangenen Jahr hätten sich Antisemitismus und Israelfeindlichkeit «so offen und enthemmt wie selten zuvor gezeigt». Das Massaker der Hamas sei offen bejubelt worden, Israel sei als Apartheitsstaat diffamiert worden. Juden seien in Berlin beleidigt, bedroht und angegriffen worden. Islamistische und linksextremistische Gruppen hätten Demonstrationen abgehalten, Veranstaltungen gestört und Universität-Räume besetzt. Daher sei dieses Thema auch der Schwerpunkt des aktuellen Berichts. 

Der Chef des Verfassungsschutzes, Michael Fischer, sagte, der 7. Oktober sei im Extremismus-Bereich prägend für das gesamte Jahr gewesen und «Treiber für alle Bereiche durch eine erhebliche Mobilisierung und Radikalisierung».

Russische Spionage und Sabotage 

Allerdings wirkte laut Fischer auch der russische Krieg gegen die Ukraine noch weiter im vergangenen Jahr. Es gebe «russische Spionageaktivitäten in deutlicher Breite», sagte er. «Wir müssen auch rechnen mit Einflussnahmen auf die Politik bis hin zu Sabotageaktionen. Wir sind auf alles eingerichtet und beobachten sehr intensiv.»

Zu einem Brandanschlag auf eine Rüstungsfirma in Berlin, bei dem es um den Verdacht von russischer Beteiligung geht, sagte Fischer nichts Konkretes, weil die Polizei noch ermittle. Er betonte aber mit Blick auf Russland: «Wir rechnen auch mit Sabotageakten und können keine solchen Aktionen ausschließen. Wir können grundsätzlich annehmen, dass russische Geheimdienste in der Lage sind, solche Aktionen durchzuführen. (…) Wir überlegen uns schon genau, was kann Angriffsziel sein.»

Ob die Berliner AfD als extremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dürfen Spranger und Fischer wegen der Gesetzeslage in Berlin nicht sagen. Allerdings wollen CDU und SPD das Gesetz entsprechend ändern. Die Gesetzesänderung sei in der Vorbereitung, sagte Fischer. Danach müsse man weiter sehen.

Neonazi-Partei «Dritter Weg»

Genau im Blick hat der Verfassungsschutz allerdings die Neonazi-Partei «Dritter Weg» und ihre Jugendorganisation NRJ, die in der rechtsextremistischen Szene überregional vernetzt und dominierend sei und mit Kampfsportveranstaltungen Jugendliche und junge Erwachsene anlocke und versuche, sie zu radikalisieren. «Das sind sehr beunruhigende Veranstaltungen, weil junge Leute in größerer Zahl herangeführt werden», sagte Fischer. Für Berlin sei das eine neue Qualität von Rechtsextremismus, weil sich eine solche Zugkraft in den vergangenen Jahren so nicht ergeben hätte. «Wir beobachten das mit Genauigkeit.»

Die Frage, ob die NRJ kürzlich an einem Überfall auf linke Demonstranten am Berliner Bahnhof Ostkreuz beteiligt war, beantwortete Fischer mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen der Polizei nicht. 

Linksextremismus

Zur linksextremen Szene sagte Fischer, das hier vor allem die gewaltbereiten Autonomen an Zulauf verlieren würden. Weiterhin würden aber rund 3700 Menschen dem Linksextremismus zugeordnet, weil andere Gruppen dazu gewinnen würden. Der sogenannte militante Antifaschismus, der Gewalt gegen Rechtsextreme rechtfertige, sei als Thema in der Szene «breit anschlussfähig».