Die frisch benannten Senatorinnen und Senatoren mit Regierendem Bürgermeister am 27.4.2023. Foto: IMAGO / Emmanuele Contini
Die frisch benannten Senatorinnen und Senatoren mit Regierendem Bürgermeister am 27.4.2023. Foto: IMAGO / Emmanuele Contini

Seit fast 100 Tagen regiert eine Koalition aus CDU und SPD im Roten Rathaus unter Kai Wegner als Regierendem Bürgermeister von Berlin. Was haben der CDU-Politiker und die Hauptstadt-GroKo bisher erreicht? Und wo hängen sie hinterher? Eine erste Bilanz.

Es war alles andere als ein leichter Start für Kai Wegner. Ganze drei Anläufe brauchte er, um im April nach Protesten aus den Reihen des zukünftigen Koalitionspartners SPD schließlich doch zum ersten CDU-Chef im Roten Rathaus seit über zwanzig Jahren gewählt zu werden. Möglicherweise mit Unterstützung der AfD.

Vielleicht ahnte Wegner bereits, dass es nicht leicht werden würde, als er am Abend der Wahl im Februar nicht ausschweifend jubelte. Dabei hätten die starken Ergebnisse der CDU das durchaus zugelassen. Auch in den Tagen danach sprach Wegner von möglichen Koalitionen „auf Augenhöhe“, obwohl die beiden potenziellen Regierungspartner von der SPD und den Grünen beide weit hinter der CDU in der Gunst der Berliner Wähler lagen.

Weichen stellen im Eiltempo

Im neu gebildeten Senat Wegner ließen sich schließlich einige überraschende Personalien finden. Mit Joe Chialo (CDU) erhielt ein Musikmanager das Amt des Kultursenators. Justizsenatorin wurde durch die Christdemokraten die parteilose Felor Badenberg, die bis dahin keine Erfahrung im politischen Betrieb aufweisen konnte, die aber laut Wegner für „das Gerangel der Parteipolitik gerüstet“ sei.

Auf Seiten der SPD interessant: Franziska Giffey, die gerne Regierende Bürgermeisterin geblieben wäre, aber ins Wirtschaftsressort wechselte. Eine Bilanz ihrer Amtszeit fällt schwer, doch die Ziele sind bereits ambitioniert. Sie wirbt für die Idee einer Weltausstellung in Berlin und möchte die Expo 35 an der Spree sehen. Das zeugt von Weitsicht.

Die üblichen 100 Tage Schonfrist waren dem neuen Berliner Senat kaum vergönnt. Schließlich müssen wichtige politische Erfolge bereits bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 eingefahren werden. Auch deshalb wollten Wegner und sein Senat die von früheren Berlin-Regierungen hinterlassenen Probleme im Eiltempo angehen.

Verkehrspolitik

Bisher gab es reichlich Zoff um die Straßen Berlins. Vor allem bei den geplanten Radwegprojekten, die durch Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) teils erst gestoppt, dann geprüft und teilweise doch wieder zugelassen wurden. SPD-Politiker Raed Saleh nannte es ein „Kommunikationsdesaster”, manche Grüne und ADFC-Vorstände sprachen sogar von einem „klaren Bruch” mit dem Mobilitätsgesetz. Die Wähler der CDU feierten hingegen den neuen Schwenk in der Verkehrspolitik. Wegner verteidigte Schreiner und bekräftigte, dass man mehr Radwege bauen will – vor allem schneller als noch Rot-Grün-Rot.

Ebenfalls Tempo fordert Wegner beim bislang schleppenden Ausbau der Schiene. Schnell hingegen brachte der neue Senat das Auto zurück ins Spiel und auf die Straße. Viele Wähler, die sich zuvor unter Jarasch als Verkehrssenatorin vernachlässigt fühlten, dankten es ihm. In Berlin-Mitte war die Aufregung groß, als nach langem Hin und Her die Friedrichstraße wieder für Autos freigegeben wurde. Unklar bleibt, wie es mit dem Ausbau des umstrittenen Großprojekts A100 weitergeht. Wegner selbst ist für einen Ausbau und schlug eine Volksbefragung vor. Seine Chancen würden gut stehen.

Wohnungsnot

Zwar gab es für die Bebauung des Tempelhofer Feldes bereits einen Volksentscheid, doch auch hier will Wegner die Berliner befragen. Wie er zurecht bemerkte, habe sich seitdem die Wohnungsnot in Berlin zugespitzt, auch die Mieten seien gestiegen. Helfen sollen eine Novellierung der Bauordnung sowie ein „Schneller-Bauen-Gesetz”.

Doch während sich Wegner in Sachen Tempelhofer Feld und A100 für einen Volksentscheid einsetzt, bleiben er und der neue Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) skeptisch gegenüber Enteignungen. Für diese hatten im September 2021 59,1 Prozent der Berliner beim Volksentscheid für die Vergesellschaftung von großen privaten Wohnunternehmen mit über 3.000 Wohnungen gestimmt. Wegner und Gaebler setzen hingegen auf einen „Neubau-Motor”, den es „nicht abzuwürgen” gilt. Ins Stottern geriet dieser jedoch bereits.

Auch Wegners Vorgängerin Giffey hatte hochgesteckte Neubauziele, diese wurden zuletzt allerdings immer wieder verfehlt. So schaffte Berlin im Jahr 2022 rund 16.500 Wohnungen – 3.500 weniger als geplant und von vielen erhofft.

Stadt für den Klimawandel rüsten

Im Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und für mehr Klimaschutz plant der Berliner Senat ein Milliarden-„Kraftpaket“. Ganze fünf Milliarden Euro will Finanzsenator Stefan Evers (CDU) dafür in die Hand nehmen. Geld, das die Stadt eigentlich nicht hat – Kredite müssen aufgenommen werden.

Ziel sei es, die Umstellung auf fossilfreie Energie und die Reduzierung der Emissionen zu beschleunigen. Heißt unter anderem: Bessere Öffis, sanierte Gebäude und neue Kraftwerke.

Schulen und Lehrermangel

SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic, die selbst als nächste Bildungssenatorin gehandelt wurde, riet der eigenen Partei, das Amt nicht mehr zu besetzen. Sie plädierte für einen frischen Wind an der Spitze der Bildungsverwaltung. Ganz egal ob marode Schulen, Integration oder fehlende Lehrkräfte, an Problemen mangelt es in Berlin nicht.

Auch auf absehbare Zeit wird es nicht ausreichend qualifizierte Lehrkräfte geben, sagt Berlins neue Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Sie will das verfügbare Personal daher vielfältiger aufstellen. Zudem sollen „multiprofessionelle Teams” an den Schulen geschaffen, Lehrkräfte aus dem Ruhestand zurückgeholt und mehr Teilzeitlehrer für eine Vollzeitstelle gewonnen werden. Auch die Anerkennung von ausländischen Pädagogen oder von Lehrkräften mit nur einem Fach sei eine Idee, so Günther-Wünsch.

Inneres und Sicherheit

Als einziges bisheriges Senatsmitglied darf Iris Spranger (SPD) das wichtige Ressort Inneres weiterführen. Vor allem in Sachen Sicherheit konnten Wegner und sie neue Akzente setzen und bislang vor allem bei konservativen Wählern punkten. Von Klimaklebern bis Schwimmbäder: Die Pläne und Entscheidungen des Senats tragen eine „Law-and-Order”-Handschrift. Gegen die Aktionen der „Letzten Generation” setzte sich Wegner für ein mögliches Präventivgewahrsam bis zu fünf Tagen ein – bislang jedoch ohne Erfolg.

Schlecht für Wegner: Berlin ließ vor kurzem überprüfen, ob die „Letzte Generation” eine kriminelle Vereinigung ist. Mit dem Ergebnis, dass die Klimaaktivisten zunächst weiterhin nicht so eingestuft werden. Zudem herrscht in der SPD keine Einigkeit beim Thema Präventivgewahrsam.

Überlastete Verwaltung

Wegner möchte die Stadt nicht nur sicherer machen, sondern auch die oft dysfunktionale Verwaltung Berlins modernisieren. Jeder soll innerhalb von höchstens 14 Tagen einen Bürgeramtstermin bekommen. Bis Ende des Jahres will er dafür die Verwaltung der Hauptstadt modernisieren, wozu auch mehr Personal notwendig ist. Zugleich gehen viele Mitarbeiter in den Behörden bald in Rente und nur wenige folgen. Das Problem wird sich potenziell verschärfen.

Gegen den Terminstau brauche es aber auch mehr Digitalisierung, so Wegner. In seiner ersten Regierungserklärung wandte er sich auch direkt an die „demokratische Opposition”. Er wolle diese Verwaltungsreform mit den Grünen gemeinsam gestalten und lösen. Veränderungen wie die Reform der Berliner Verwaltung sind zu groß, um sie alleine anzupacken und ohne die Opposition undenkbar.

Berlins viele offene Baustellen

Was nach 100 Tagen bisher bleibt, sind, neben einigen ersten Erfolgen, reichlich Zoff und Potenzial für weitere Streitigkeiten im Roten Rathaus. Und viele offene Versprechen. Bislang bleibt unklar, wo der neue Senat seine Prioritäten setzt. Man ist um ein friedliches Miteinander bemüht, doch Berlin scheint noch immer gespalten. Innenstadt gegen Randbezirke, jung gegen alt, progressiv gegen konservativ. Es bleibt spannend, wie viel Miteinander der neue Senat erreichen kann.

Natürlich lassen sich die vielen Probleme der Hauptstadt nicht im Eiltempo von gerade einmal 100 Tagen lösen. Doch einige Weichen scheinen zumindest gestellt. Bleibt abzuwarten, wohin sie Berlin vor 2026 noch führen werden.

Text: Sascha Uhlig