Franziska Giffey ist seit Dezember 2021 Regierende Bürgermeisterin von Berlin und Spitzenkandidatin der SPD bei der Wahlwiederholung am 12. Februar. Bild: Sascha Uhlig
Franziska Giffey ist seit Dezember 2021 Regierende Bürgermeisterin von Berlin und Spitzenkandidatin der SPD bei der Wahlwiederholung am 12. Februar. Bild: Sascha Uhlig

Noch knapp vier Wochen bis zur Wahlwiederholung in Berlin: Mit dem „Berliner Abendblatt“ sprach die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) über Lehren aus der Silvesternacht, Wohnungsbau und die Zukunft der rot-grün-roten Senatskoalition.

 

Ob Silvesterrandale oder Wahlwiederholung: Berlin ist wieder mal als Chaos-Hauptstadt verschrien. Ist gegen dieses Image irgendein Kraut gewachsen?

Einige Leute versuchen in diesen Wahlkampfzeiten, ein ganz bestimmtes Bild von Berlin zu zeichnen. Das ist aber nicht das Bild, das unsere Stadt ausmacht.

In der Silvesternacht haben wir sehr schwerwiegende Ereignisse gehabt. An der Rücksichtslosigkeit und Brutalität gegenüber Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften gibt es nichts schönzureden. Aber angesichts von 145 Festnahmen einer 3,7-Millionen-Metropole zu attestieren, im Chaos zu versinken, ist auch nicht in Ordnung.

Als Regierende Bürgermeisterin halte ich dagegen. Die Täter müssen schnell zur Verantwortung gezogen und Polizei und Feuerwehr besser ausgestattet werden. Wir brauchen eine Verschärfung des Waffenrechts und des Sprengstoffrechts. Genauso wichtig ist aber auch die Jugendpräventionsarbeit.

 

Droht die Silvesternacht zum „neuen ersten Mai“ zu werden?

Derart brutale Angriffe auf Rettungskräfte wie in der Silvesternacht hat es so in Berlin noch nicht gegeben. Das ist inakzeptabel. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert. Deshalb muss bei den Tätern hart durchgegriffen werden, um auch ein deutliches Stoppsignal zu setzen.

Die Polizei arbeitet mit Hochdruck an den Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft hat eine Schwerpunktabteilung eingerichtet, die alle Fälle bearbeitet. 25 Verfahren hat die Polizei bereits dorthin übergeben. Jeden Tag kommen neue Tatverdächtige und Beweise hinzu.

 

Sie haben gesagt, so eine Silvesternacht dürfe sich nicht wiederholen. Was hat der Gipfel gegen Jugendgewalt in dieser Hinsicht gebracht?

Dieser Gipfel war keine einmalige Angelegenheit, sondern der Auftakt für eine gemeinsame Kraftanstrengung – eine konzertierte Aktion gegen Jugendgewalt und für mehr Respekt. Es wurde ein Arbeitsprozess für vier große Bereiche gestartet: erstens Elternarbeit und Schulsozialarbeit, zweitens außerschulische Jugendsozialarbeit, drittens Stadtteilarbeit mit den Orten für Jugendliche und viertens konsequente Strafverfolgung. Junge Menschen brauchen Orte, wo sie sich treffen können. Das müssen wir auch bei künftigen Wohngebieten beachten. Gerade in Großsiedlungen haben sich an Silvester die Probleme gezeigt.

Am 22. Februar kommt der Gipfel wieder zusammen. Bis dahin werden die zuständigen Stellen im Senat und in den Bezirken sowie die Träger der Jugendsozialarbeit gemeinsam konkrete Maßnahmen in den vier Bereichen erarbeiten. Der Senat ist bereit, zusätzliche Mittel in die Hand zu nehmen, um Verbesserungen zu erreichen und die Jugendhilfe auszubauen.

 

„Der Gipfel gegen Jugendgewalt war keine einmalige Angelegenheit, sondern der Auftakt für eine gemeinsame Kraftanstrengung“, sagt Franziska Giffey (hier mit Teilnehmern des Gipfels am 11. Januar im Roten Rathaus). Bild: IMAGO/Christian Spicker

 

Sehen Sie die Wahlwiederholung am 12. Februar als Chance, ihr Ergebnis von 2021 zu verbessern? SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat die Zielmarke von 26 Prozent ausgegeben. 

Diese Zahl bezieht sich auf das Ergebnis der SPD bei der vergangenen Bundestagswahl. Ich sehe das nicht als Zielmarke, sondern als Ermutigung. Über Bundeskanzler Olaf Scholz haben vor der Bundestagswahl viele gesagt, dass er es nicht schafft. Er hat allerdings immer daran geglaubt.

Auch ich bin überzeugt, dass die SPD in Berlin wieder stärkste Kraft werden kann. Wenn man daran kontinuierlich arbeitet, kann es auch gelingen. Ich glaube, genau das hat Kevin Kühnert gemeint. Wir wollen keine Umfragekönige werden, sondern die Wahl am 12. Februar gewinnen. Und wir wollen zeigen, dass wir Berlin gut durch die Krise bringen.

(Anmerkung der Redaktion: Umfragen sehen die SPD momentan bei 21 Prozent)

 

Umfragen sahen Sie vor einigen Monaten abgeschlagen, nun liegen Sie mit der CDU gleichauf und zum Teil vor den Grünen. Wie fühlt es sich an, wieder im Rennen ums Rote Rathaus zu sein?

Ich habe mich nie außerhalb des Rennens gefühlt. Umfragen sind Momentaufnahmen. Entscheidend ist das Wahlergebnis. In einer Krisensituation entlädt sich der Frust häufig über die, die in erster Reihe in Regierungsverantwortung stehen. Im letzten Sommer und Herbst hatten viele Menschen Sorgen, ob sie ihre Stromrechnung zahlen können und ob es genug Gas für den Winter geben wird.

Diese krisenhaften Lagen sind durch die Entlastungspakete und Direktzahlungen, wie zuletzt an Rentner und Studierende, deutlich entspannt worden. Gas- und Strompreisdeckel sind weitere wichtige Punkte. Im Frühjahr werden die Leute sehen: Es ist nicht das Schlimmste eingetreten, weil gegengesteuert wurde. Wir sind gut über Herbst und Winter gekommen.

 

Laut einer vom rbb veröffentlichten Studie klaffen Ihre Zufriedenheitswerte deutlich auseinander: 37 Prozent der Befragten waren mit Ihrer Arbeit zufrieden, 56 Prozent weniger bis unzufrieden. Bei keinem anderen Senatsmitglied ist diese Kluft so groß. Wie erklären Sie sich das?

Ich freue mich erstmal, dass ich von allen Spitzenkandidaten die höchsten Zufriedenheits- und Bekanntheitswerte habe. Darauf kann man aufbauen. Wenn man einen hohen Bekanntheitsgrad hat und sich Menschen mit einem auseinandersetzen, kann es vorkommen, dass jemand unzufrieden ist. In der Politik gelingt es niemandem, alle Menschen gleichermaßen froh zu machen und alle Interessen gleichermaßen zu bedienen.

Man braucht einen Fokus. Ich bin Sozialdemokratin und setze mich dafür ein, dass wir die soziale Dimension in dieser Stadt nicht verlieren und die Menschen unterstützen, die in der aktuellen Krise große Sorgen haben. Ich bekomme sehr viele positive Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern, die dankbar sind für das, was vonseiten des Bundes und des Landes getan wurde, um die Folgen des Ukraine-Krieges und der Energiekrise abzufedern. Und auch dafür, dass Berlins Energieversorgung in allen Sektoren sichergestellt ist. Wir kommen gut durch diesen Winter und bereiten uns auf den nächsten vor.

 

„Es gab und gibt eine konstruktive Zusammenarbeit im Senat“

 

Linke und Grüne haben sich bereits zu einer Fortsetzung von Rot-Grün-Rot bekannt. Wie halten Sie es damit? Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit in der Koalition?

Kurz vor der Wahl kämpfen alle für ihre Überzeugungen. Wichtig ist, dass wir auch im Wahlkampf professionell zusammenarbeiten. Wir haben Verantwortung für diese Stadt und müssen eine handlungsfähige Regierung sein.

Im ersten Jahr haben wir uns auf die Bewältigung multipler Krisen fokussieren müssen. Zu Beginn des Jahres hat uns die Corona-Pandemie noch sehr in Atem gehalten. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Bis heute sind über 360.000 Menschen aus der Ukraine in Berlin angekommen und erstversorgt worden. Etwa 100.000 sind geblieben, sind untergebracht und versorgt worden, über 7.000 Kinder sind eingeschult, viele Menschen in Arbeit vermittelt worden.

Wir haben ein eigenes, drei Milliarden Euro schweres Berliner Entlastungpaket geschnürt, um die Bevölkerung, die Wirtschaft und soziale Einrichtungen von den Folgen der Energiekrise zu entlasten. Ich denke, wir haben das in der Koalition gut hinbekommen, es gab und gibt eine konstruktive Zusammenarbeit.

 

Sie setzen also auch weiterhin auf Rot-Grün-Rot?

Ich trete dafür ein, dass die SPD stärkste Kraft wird. Dafür kämpfen wir. Die Führungsverantwortung in der Stadt zu behalten, hat für uns absolute Priorität. Alles Weitere hängt vom Wahlergebnis ab. Gedankenspiele über mögliche Koalitionen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht angesagt.

Wir stehen für eine soziale Stadt und dafür, dass verschiedene Interessen berücksichtigt werden. Egal, ob jemand in der City oder im Außenbezirk lebt und egal, mit welchem Verkehrsmittel man unterwegs ist. Ob jung oder alt, ob mit oder ohne Behinderung. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Interessen.

 

 


 

Lesen Sie bitte auch: Bettina Jarasch: „In Berlin gibt es viel zu reparieren“

 


 

 

Beim Thema Verkehr klingen Sie fast wie FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja. Blinken Sie Richtung FDP?

Ich blinke für die SPD. Wir setzen auf Kontinuität und wollen deutlich machen: Gerade in schwierigen Zeiten wechselt man nicht den Steuermann. Oder die Steuerfrau. Die Arbeit, die begonnen wurde, muss weitergehen.

 

In der Debatte um die „Flaniermeile Friedrichstraße“ herrschte zwischen Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch und Ihnen vor einigen Monaten Uneinigkeit. Die Grünen-Politikerin hat Sie persönlich in der Öffentlichkeit harsch kritisiert. Wie ist Ihr Verhältnis jetzt?

Wir arbeiten professionell zusammen. Bettina Jarasch tut das vor allem in ihrem Senatsressort Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Meine Aufgabe ist es, diesen Senat zusammenzuhalten. Mir ist wichtig, dass wir auch in Krisenzeiten handlungsfähig sind. Allen ist klar, dass wir eine große Verantwortung für diese Stadt tragen. Und die nehmen wir wahr.

 

Franziska Giffey mit Chefredakteurin Sara Klinke und Redakteur  Nils Michaelis in der Zentrale der Berliner SPD im Wedding. Bild: Sascha Uhlig
Franziska Giffey mit Chefredakteurin Sara Klinke und Redakteur Nils Michaelis in der Zentrale der Berliner SPD im Wedding. Bild: Sascha Uhlig

 

Mit der Wahlwiederholung ist der Name von Ex-Innensenator Andreas Geisel verbunden. Wird Ihr SPD-Parteikollege einem kommenden Senat unter Ihrer Führung angehören?

Zunächst einmal: Die Wahlfehler hätten nicht passieren dürfen. Es schmerzt mich, dass in der Folge die funktionierende Stadt Berlin insgesamt infrage gestellt wurde.
Diejenigen, die aber behaupten, für die Wahlpannen gebe es einen einzigen Schuldigen, machen es sich zu einfach.

Sehr viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass die Berlin-Wahl nicht ordnungsgemäß verlaufen ist. Der grundlegende Fehler war, die Wahlen und den Berlin-Marathon parallel stattfinden zu lassen. Hinzu kam die Gleichzeitigkeit von Bezirkswahlen, Abgeordnetenhauswahlen, Bundestagswahlen, Volksentscheid und Corona-Einschränkungen.

 

„Auch Herr Geisel trägt Verantwortung“

 

Auch die Innenverwaltung hat zur Organisation und Beaufsichtigung von Wahlen beizutragen. Auch Herr Geisel trägt Verantwortung. Ihm aber die alleinige Schuld zuzuschreiben, finde ich nicht in Ordnung. Andreas Geisel ist jetzt Bausenator. Es ist entscheidend wichtig, dass er den Wohnungsbau voranbringt. Und das tut er. So wird er seiner Verantwortung gerecht. Ein Rücktritt hätte niemandem geholfen.

Eine Expertenkommission hat aufgelistet, welche Fehler am Wahltag passiert sind. Das haben wir alles aufgearbeitet und umgestellt. Wir setzen auch mit dem neuen Landeswahlleiter alles daran, dass die Wahlwiederholung reibungslos verläuft.

 

Nach dem Wahlsieg von 2021 haben Sie Wohnungsbau zur „Chefinnensache“ erklärt. Wieso spielt das Thema in der aktuellen Wahlkampagne keine Rolle? Auf Ihren Plakaten ist dazu nichts zu sehen.

Ich finde nicht, dass das Thema keine Rolle spielt. Hätten wir alle wichtigen Themen auf den Wahlplakaten platzieren wollen, hätten wir zehn verschiedene vorbereiten müssen. Der aktuelle Wahlkampf ist sehr kurz, daher konzentrieren wir uns auf drei Motive.

Mit dem Slogan „Arbeiten für Berlin“ wollen wir deutlich machen, worauf es jetzt ankommt: Die Berliner erwarten von uns, dass wir unseren Job weiterhin gut machen und uns nicht im Wahlkampf verlieren. Wir wollen Berlin gut aus der Krise führen. Darin sehe ich meine Amtsverantwortung.

Das Plakat zum 29-Euro-Ticket bezieht sich darauf, die Menschen in der Krise konkret zu entlasten und soziale Teilhabe mit Mobilität für nicht mehr als einen Euro am Tag zu ermöglichen. Die SPD steht für gutes Krisenmanagement und gute Krisenbewältigung.

Die fünf „Bs“ aus unserem Wahlprogramm von 2021 gelten natürlich weiterhin: Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernahe Verwaltung und Berlin in Sicherheit. Aktuell haben wir uns auf Krisenbewältigung, Krisenmanagement und Entlastung der Bürger fokussiert. Das bedeutet nicht, dass das Thema Wohnen von der Bildfläche verschwunden ist. Ganz im Gegenteil!

 

Bis 2030 peilen Sie pro Jahr im Schnitt 20.000 neue Wohnungen an. Im Jahr 2022 wurden aber nur etwa 16.500 gebaut. Woran liegt das? Und stimmt die Behauptung von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, dass unter diesen neuen Wohnungen keine einzige Sozialwohnung ist?

Die Behauptung stimmt schon deswegen nicht, weil die städtischen Wohnungsbaugesellschaften rund 7.000 Wohnungen gebaut haben. Deren Durchschnittsmiete liegt bei 6,50 Euro. Es sind also bezahlbare Wohnungen entstanden.

 

Sie setzen bezahlbare Wohnungen mit Sozialwohnungen gleich?

Im unteren Preissegment haben die öffentlichen Wohnungsunternehmen immer einen gewissen Anteil von Wohnungen. Auch die privaten Investoren müssen im Rahmen der kooperativen Baulandentwicklung mindestens 30 Prozent im unteren und mittleren Preisbereich schaffen.

Wir brauchen die Berliner Mischung und Wohnungen in unterschiedlichen Preissegmenten. Nicht nur Menschen im Sozialleistungsbezug, sondern auch mit mittleren Einkommen haben Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, die sich leisten können.

Was die Zielmarke von 20.000 Wohnungen betrifft: Ich bin froh, dass wir unter den Bedingungen des vergangenen Jahres überhaupt 16.500 Wohnungen fertigstellen konnten. Rund 40.000 Berlinerinnen und Berliner konnten Weihnachten in ihrer neuen Wohnung feiern. Das ist ein Erfolg.

Wir haben einen Krieg, die Zinsen und Baukosten sind gestiegen. Es gibt Lieferkettenprobleme und Fachkräftemangel. Das kann man nicht ausblenden. Trotzdem sind mehr Wohnungen entstanden als in den Jahren 2020 und 2021. Und auch mehr als im Bundesschnitt.

 

Sie halten an dem Ziel von 20.000 Wohnungen fest?

Niemand weiß, wie sich die Kriegs- und Krisenlage entwickelt. Sicherlich werden die Bedingungen nicht einfacher. Ich halte aber nichts davon, nun zu sagen: Dann bauen wir nur noch 10.000 Wohnungen. Das kann nicht unser Anspruch sein. Der Bedarf ist da. Wir müssen alles dafür tun, um künftig die 20.000 zu erreichen.

 

Wo muss sich der Senat besser aufstellen, um das Ziel zu erreichen?

Dieser Senat ist seit einem Jahr im Amt. Im Juni wurde das Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen gegründet. Wir sind am Beginn der Arbeit. Wohnungsbauprojekte nehmen viel Zeit in Anspruch. Mit ein paar Monaten ist es nicht getan.

Die von mir geleitete Senatskommission Wohnungsneubau arbeitet daran, Hemmnisse und Hürden für Neubauvorhaben abzubauen. Zum Beispiel, wenn es um Rettungswege, Umweltbelange oder die Mischung von Gewerbe- und Wohnnutzungen geht. Für 18.000 Wohnungen ist dies im vergangenen Jahr bereits gelungen. Das wird in den kommenden Jahren wirken. Entscheidungen, die wir heute treffen, stellen die Weichen für morgen.

 

„Beim Wohnungsbau brauchen wir private Investoren“

 

Beim Thema Wohnen schlägt Ihnen Enttäuschung entgegen. Mieten- und sozialpolitische Initiativen wünschen sich ein entschiedeneres Auftreten gegenüber Immobilienkonzernen. Die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger hat das besagte Wohnungsbündnis als „Luftnummer“ bezeichnet. Halten Sie gegenüber der Immobilienwirtschaft an Ihrem ausgleichenden Kurs fest?

Frau Schmidberger redet die Dinge schlecht, ohne bessere Vorschläge vorzulegen. Was haben denn die Grünen auf diesem Gebiet all die Jahre gemacht? Ein Wohnungsbündnis hätte es schon viel früher geben können. Ich habe dafür gesorgt, dass es gegründet wird.

Bevor dieser Senat seine Arbeit aufgenommen hat, wurde mit privaten Wohnungsunternehmen nicht mal richtig geredet. Sie wurden als „Kapitalisten“ in die Ecke gestellt. So kommen wir nicht weiter. Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten. Nur so sind 20.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Wir brauchen die Privaten und müssen dafür sorgen, dass auch sie in Berlin Wohnungen bauen können und einen guten Verwaltungsservice bekommen.

Unternehmer sagen mir immer wieder, dass sie gerne hier bauen würden, aber das Gefühl haben, nicht so richtig erwünscht zu sein. Am Ende investieren sie woanders. Das können wir uns nicht leisten. Wenn wir uns nur auf die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften verlassen, werden wir unsere Wohnungsbauziele nicht erreichen.

 

Eine Forderung an Sie lautet, bei Neubauvorhaben einen höheren Anteil günstiger Wohnungen festzuschreiben.

Wer das fordert, muss auch sagen, wie es finanziert werden soll. Bauvorhaben müssen sich rechnen. Man kann von privaten Investoren nicht verlangen, jede Wohnung für 6,50 Euro anzubieten. Mit der Wohnungsbauförderung des Landes 2022 und 2023 mit jeweils über 700 Millionen Euro pro Jahr unterstützen wir den Bau bezahlbarer Wohnungen in Größenordnungen.

 

Um kurzfristig günstigen Wohnraum zu schaffen, könnten Sie den Wohnungstausch erleichtern. Dann könnte beispielsweise eine Familie eine womöglich größere Wohnung mitsamt dem alten Mietvertrag übernehmen. Wie stehen Sie dazu?

Grundsätzlich finde ich das gut. Im Rahmen des Wohnungsbündnisses haben wir genau das vereinbart. Denkbar wäre eine Online-Plattform für Wohnungstausch. Bei den Städtischen Gesellschaften gibt es so etwas bereits. Die Privaten haben zugesagt, Ähnliches auf den Weg zu bringen.

Um den Zugang zu günstigem Wohnraum zu erleichtern, arbeiten wir auch am eWBS – dem Elektronischen Wohnberechtigungsschein. Den Wohngeldantrag gibt es bereits seit Januar in einem neuen Onlineverfahren. Mit der Wohngeldreform des Bundes haben drei Mal so viele Menschen wie bisher Anspruch auf Wohngeld.

 

Wie geht es eigentlich mit der Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung von Wohnungen großer Immobilienkonzerne weiter?

Die Expertenkommission erarbeitet bis zum Mai Empfehlungen an den Senat. Viele wirtschaftliche und rechtliche Fragen müssen geklärt werden. Wäre eine Enteignung von Wohnungen verfassungskonform? Welche Entschädigungszahlen kämen auf Berlin zu? Welche rechtlichen Folgen wären damit verbunden? Sicher wäre mit einer Klagewelle und jahrelangen Verfahren zu rechnen.

Ich gehe nicht davon aus, dass die Expertenkommission eine Entscheidung vorwegnehmen wird. Sie wird abwägen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Am Ende wird es also eine politische Entscheidung geben.

 

„Ich bin sehr dafür, den Volksentscheid Deutsche Wohnen ernst zu nehmen“

 

Laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung würde eine Vergesellschaftung von Wohnungen privater Konzerne die Mieten im Schnitt um 16 Prozent günstiger machen. Ist das für Sie kein Anreiz?

Bevor man so eine Zahl für bare Münze nimmt, sollte man klären, welche Entschädigungszahlungen zu leisten wären. Woher kommt das Geld, auch vor dem Hintergrund steigender Zinsen? Neuerdings wird über Entschädigungszahlungen von 14 Milliarden Euro gesprochen. Das ist mehr als das Budget, das allen zwölf Bezirken pro Jahr insgesamt zur Verfügung steht.

Mein Hauptkritikpunkt ist: Wenn man so viel Geld ausgibt, kann man damit auch nur einem Menschen, der eine Wohnung sucht, eine positive Antwort geben? Kann man nicht! Durch die Enteignung von 240.000 Wohnungen würde keine einzige neue Wohnung entstehen. In diesen Wohnungen leben ja bereits Menschen.

Wenn es nicht genügend Wohnraum gibt, müssen wir welchen schaffen. Das sollte unser Fokus sein. Wir müssen auch fragen: Was würden die Enteignungen für Berlins internationalen Ruf bedeuten? Was macht das mit möglichen Investoren? Die gehen dann woanders hin.

Das Allerschlimmste wäre, wenn Berlin ein weiteres Mal vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Das möchte ich nicht riskieren. Ich habe große Vorbehalte. Ich bin sehr dafür, den Volksentscheid ernst zu nehmen. Trotzdem müssen wir verantwortlich handeln. Also verfassungsgemäß und in Abwägung der wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen.

 

An diesem Punkt sind Sie der CDU näher als der Linken, Ihrem Koalitionspartner

Ja, an diesem Punkt schon.

 

Interview: Nils Michaelis und Sara Klinke

 

 

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Zur Person:

Franziska Giffey ist in Brandenburg aufgewachsen. Ihre politische Laufbahn begann in Neukölln. Zwischen 2015 und 2018 war sie dort Bezirksbürgermeisterin. Von 2018 bis 2021 war die 44-Jährige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Als Regierende Bürgermeisterin führt sie seit Dezember 2021 eine Senatskoalition aus SPD, Grünen und Linken. Bei der Wahlwiederholung am 12. Februar tritt Giffey erneut als SPD-Spitzenkandidatin an.

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