Die Kindertagespflegerinnen Claudia Wiechert, Cordelia Wiecher und Edeltraut Reggenttin. (v.l.n.r.) Foto: Berliner Abendblatt
Die Kindertagespflegerinnen Claudia Wiechert, Cordelia Wiecher und Edeltraut Reggenttin. (v.l.n.r.) Foto: Berliner Abendblatt
Trotz des umfangreichen Kita-Ausbaus der vergangenen Jahre in Berlin, suchen viele junge Eltern schon früh und oft dennoch verzweifelt nach einem geeigneten Kindergarten für ihren Nachwuchs. Doch unterdessen klagt die Kindertagespflege „Die wilden Täubchen“ in Lichtenberg über unbelegte Plätze und sich anbahnende Existenzängste.
 
Viele junge Eltern in Berlin und Brandenburg kennen das Problem leider nur zu gut: Kita-Plätze waren und sind trotz des Kita-Ausbaus der vergangenen Jahre immer noch Mangelware. Nicht wenige werdende Eltern verzweifeln bereits bei der Suche nach einem geeigneten Kindergarten für ihren Nachwuchs, denn die ganztägigen Betreuungsplätze sind begehrt – überhaupt auf die Warteliste zu gelangen, kann schwer sein. Doch die können lang sein, nicht selten lassen sich bereits Schwangere darauf eintragen, um bloß nicht die Chance zu verpassen, wenn das Kind einmal ins Kita-Alter kommt.

Alleine in Berlin fehlen 2023 ganze 17.000 Kita-Plätze.

Mit Hinblick auf den Betreuungsbedarf für das kommende Jahr fehlen laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung im kommenden Jahr in Brandenburg bis zu 2900 Kita-Plätze. In Berlin mangelt es trotz des umfangreichen Kita-Ausbaus der Vergangenheit im Jahr 2023 sogar an 17.000 Plätzen. Um den Betreuungsbedarf zu decken, müssten fast 4000 neue Fachkräfte eingestellt werden, so heißt es im Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme. Das würde jedoch auch zusätzliche Personalkosten von über 170 Millionen Euro pro Jahr bedeuten – mögliche Betriebs- und Baukosten für neue Kindergärten noch nicht einmal eingerechnet.

Problem der Wahrnehmung

Im Gegensatz zu den Kitas der Hauptstadt ist die Warteliste der Kindertagespflege „Die wilden Täubchen“ in der Schalkauer Straße in Lichtenberg seit ein, zwei Jahren stets nur kurz. Oder sogar komplett leer. Cordelia Wiechert und ihre Schwester Claudia Wiechert betreuen hier zu zweit derzeit sieben Kinder – von zehn möglichen. Doch schon zwei bis drei freie Plätze bedeuten für sie als selbstständige Erzieherinnen ein finanzielles Risiko.

„Viele wissen nicht, was Kindertagespflege überhaupt bedeutet.“

Dementsprechend verwundert bis verärgert sind sie auch, wenn sie von fehlenden Kita-Plätzen und langen Wartezeiten auf einen Platz in Berlin lesen. Denn sie und andere Kollegen*innen im Verbund der Kindertagespflege Lichtenberg machen seit einiger Zeit ganz andere Erfahrungen.
 
Feierabend in der Kindertagespflege "Wilde Täubchen" - alle Kinder sind bereits wieder zuhause.
Abends in der Kindertagespflege „Wilde Täubchen“ – alle Kinder sind bereits wieder zuhause.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Allen voran haben die „Die wilden Täubchen“ statt voller Wartelisten ein grundlegendes Imageproblem. „Viele wissen gar nicht, was Kindertagespflege überhaupt bedeutet, die meisten denken, dass wir kranke Kinder pflegen.“, sagt Cordelia Wiechert. „Dann denken viele, ach mein Kind, das hat ja nichts“, ergänzt ihre Schwester Claudia. 

Existenzangst macht sich breit

„Auf der einen Seite werden so viele Kita-Plätze gesucht“, sagt ihre Kollegin Edeltraut Reggenttin von der Kindertagespflege „Unsere kleine Welt“ in Hohenschönhausen, „auf der anderen Seite sind wir nichtmal voll belegt.“ Auch ihr fehlen derzeit zwei Kinder zur vollen Belegung. Vor Corona hatten sie alle noch stets wartende Eltern, was ihnen deutlich mehr Sicherheit gab als heute, so Reggenttin.
 
An Spielzeug mangelt es bei den "Wilden Täubchen" nicht.
An Spielzeug mangelt es bei den „Wilden Täubchen“ nicht.
Dass es rings um die „Die wilden Täubchen“ in der Schalkauer Straße drei Kindergärten gibt und derzeit zwei neue als Teil des Kita-Ausbaus von Berlin gebaut werden, macht die Lage für die selbstständigen Frauen nicht leichter. „Die Existenzangst treibt uns schon um, dabei machen wir doch genau die gleiche Arbeit wie jede andere Kita auch“, so Claudia Wiechert.
 
Viele würden zudem bei Tagesmüttern immer gleich an hohe Kosten denken, dabei müssen die Eltern nicht mehr als auch in einer normalen Kita zahlen, so die drei Frauen. Die Finanzierung erfolgt auch hier über einen Kita-Gutschein, der über das zuständige Jugendamt im entsprechenden Bezirk anhand des Betreuungsbedarfs je nach Familie beantragt und dann ausgestellt wird.

„Nur“ eine Kindertagespflege

Aller zwei Monate treffen sie sich mit anderen Tagespflegepersonen aus Lichtenberg in den sogenannten „Kiezgruppen“, um sich über ihre aktuelle Lage, alltägliche Probleme, pädagogische Themen und vieles mehr auszutauschen. Bei den anderen Einrichtungen in Lichtenberg das gleiche Problem: leere Plätze statt Vollbelegung. Dabei können und wollen sie doch genauso viel anbieten wie ein Kindergarten. „Im Prinzip wie eine Kita in klein“, so Cordelia Wiechert, „aber das dürfen wir nicht so sagen oder schreiben, denn wir sind ja keine Kita, sondern nur eine Kindertagespflege.“

„Im Prinzip sind wir eine Kita in klein – nur so nennen dürfen wir uns nicht.“

Die drei Frauen, die allesamt vor ihrer Selbstständigkeit auch schon in regulären Kindergärten gearbeitet haben, dürfen allerdings auch vieles nicht. So ist ein Platz in der Kindertagespflege etwa nur für Kinder bis zum dritten Lebensjahr vorgesehen, danach geht es in den Kindergarten, unter anderem aufgrund der Vorbereitung auf die Schulzeit. Doch laut Claudia Wiechert könnten sie diese vorschulische Erziehung ebenfalls anbieten, die entsprechenden Schulungen und Weiterbildungen hätten sie besucht.
 
Laut dem Bezirksamt Lichtenberg sei „die Betreuung in der Kindertagespflege oft bis zum dritten Lebensjahr befristet“, allerdings stelle das keine starre Grenze dar. „Es wird oft von den Eltern gewünscht, dass die Kinder nach dem dritten Lebensjahr und insbesondere im Vorfeld der Einschulung in eine Kita gehen“, heißt es seitens des Bezirksamtes.
 
Blick in eines der vielen Zimmer der Kindertagesstätte "Die wilden Täubchen".
Blick in eines der vielen Zimmer der Kindertagesstätte „Die wilden Täubchen“.
Vielen Eltern seien zudem davon abgeschreckt, dass ihre Kinder im vierten Lebensjahr in eine Kita wechseln müssen. Eine erneute Ein- und Umgewöhnung, die viele lieber vermeiden wollen. „Dabei machen wir ja nichts anderes als eine Kita“, sagt Cordelia Wiechert. Alle drei Frauen würden sich wünschen, dass sie die Kinder auch bis zum Übergang in die Grundschule betreuen könnten – bislang ist dies nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich, aber keinesfalls die Regel oder so vorgesehen.

Zuschüsse vom Jugendamt

Auf Nachfrage beim Bezirksamt Lichtenberg zur Lage der Kindertagespflege heißt es, dass „im Jugendamt Lichtenberg die Betreuung in Kita und Tagespflege ‚gemeinsam gedacht‘ wird“. Entsprechende Fachkräfte würden benachbart sitzen und in derselben Abteilung austauschen, wenn Familien die Unterstützung des Jugendamts bei der Suche nach einem Kitaplatz benötigen.

Auch bei den „Wilden Täubchen“ gab es dieses Jahr einen Tag der Offenen Tür – doch gekommen ist niemand.

Zudem schätze das Jugendamt Lichtenberg die Kindertagespflege als wichtiges und hochwertiges Betreuungsangebot und unterstütze dies auch gegenüber den Familien. Eltern würden ausdrücklich auch auf die Betreuungsmöglichkeit in der Kindertagespflege hingewiesen. Diese würde zudem selbst einiges für Bekanntheit und ein positives Image tun, so gibt es etwa einmal im Jahr einen Tag der offenen Tür, an dem sich auch Lichtenberger Kindertagespflegestellen beteiligen. So auch die „Wilden Täubchen“ – doch dort hin gekommen ist in diesem Jahr laut Cordelia und Claudia Wiechert niemand.
 
Aktuell unterstützt das Jugendamt Tagespflegestellen angesichts steigender Betriebskosten mit Mietkostenzuschüssen und setzt sich für eine generelle Lösung auf Landesebene ein. Richtig sei, so das Bezirksamt, dass sich Eltern mit Kindern mit besonderen Belastungen gern für die Kindertagespflege entscheiden, weil die Betreuung dort familiennäher ist als in Kitas.
 
Aus Sicht des Jugendamtes entsteht daraus aber keinesfalls ein problematisches Image. Vielmehr hat die Kindertagespflege gerade für sehr junge Kinder aus Sicht des Jugendamts seine Vorteile. Es scheint leider nur so, als würden nur wenige Eltern in Berlin diese auch kennen und so wahrnehmen.
 
Text & Fotos: Sascha Uhlig