Senats- und Umweltpolitik plant rigide Maßnahmen, um die Impfquote voranzutreiben.
Die vierte Welle der Corona-Pandemie könnte sich in den kommenden Wochen bedrohlich ausbreiten. Die aktuell grassierende Deltavariante ist viel ansteckender als die beiden vorangegangenen Varianten. „Aber drei von vier Erwachsenen in Deutschland sind bereits geimpft“, so der positive Teil eines Zwischenfazits, das Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) derzeit verkünden kann. Große Sorgen bereitet ihm dabei die Kehrseite der Impfstatistik. „Erst bei einer Impfquote mit deutlich über 80 Prozent in der gesamten deutschen Bevölkerung ist ein pandemiesicherer Herbst und Winter gewährleistet“, erklärte er vor einigen Tagen bei einem Pressetermin in Kreuzberg vor Fachpublikum aus der Veranstalterbranche.
Das dritte G ist gestrichen
„Zum jetzigen Stand gehen wir mit der 3G-Strategie und allen Schutzmaßnahmen durch den Herbst und den Winter. Für geimpfte Menschen wird es keine weiteren Restriktionen geben“, erläuterte damals der Gesundheitsminister und zeigte die aktuellen Perspektiven auf. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat indes mit seinen Senatskollegen das sogenannte 2G-Modell beschlossen.. Veranstalter und Gastronomen würden demnach nur noch Geimpfte und Genesene (2G) in ihre Räume einlassen dürfen. In Berliner Musikclubs wird diese Regelung bereits jetzt angewandt. Ein negativer Coronatest nutzt also nichts mehr. Neben diesen Vorgaben will die Landes- und Bundespolitik auch mit anderen Regelungen den Druck auf bislang ungeimpfte Menschen aufbauen: Ab dem 11. Oktober wird es keine kostenlosen Bürgertests mehr für symptomfreie Menschen geben. Wer sich nicht impfen lassen will, muss den dann für den Besuch von Kino, Theater, Konzert oder Fitnessstudio erforderlichen Test selbst zahlen. Rund acht Euro kostet so ein Verfahren derzeit pro Abstrich in der Abrechnung mit dem Senat. Ein Preis, der ungeimpfte Menschen allein aus Kostengründen von einigen Veranstaltungen und Angeboten ausschließen könnte.
Und so richtig teuer könnte es für ungeimpfte Menschen werden, wenn Spahns Quarantäneplan kommen würde. Demnach könnten Lohnersatzzahlungen durch die Krankenkassen entfallen, wenn eine Covid-Quarantäne durch eine Impfung des Arbeitnehmers hätte vermieden werden können.
Die demokratische Kernfrage stellt sich jetzt
Der moralische Druck, der derzeit auf Menschen ausgeübt wird, die sich nicht impfen lassen wollen, scheint nicht zu genügen, um die notwendige 80-Plus-Impfquote in Deutschland zu erreichen. Solidarität mit der Gemeinschaft wird in Diskussionen und auf allen denkbaren Kommunikationswegen gefordert. Obwohl der Gesetzgeber von Beginn an die absolute Freizügigkeit zur individuellen Entscheidung in der Impffrage garantiert hat, scheint diese demokratische Kernfrage über eine individuell drohende Kostenkulisse ausgehebelt zu werden. Impfgegner und -zweifler könnten sich demnach in Zukunft den Kneipen, Kino- oder Restaurantbesuch schlichtweg nicht mehr leisten oder stünden mit ihrer Haltung im Ernstfall sogar zeitweise ohne Einkommen da. Pläne, die Anlass zur Kritik geben. Schließlich sollten doch auch noch Nichtgeimpfte die Möglichkeit bekommen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
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Bild und Text: Stefan Bartylla