Iris Spranger (SPD), Innensenatorin, spricht im Berliner Abgeordnetenhaus.
Iris Spranger (SPD) will jetzt das Rettungsdienstgesetz anfassen und die aktuellen Strukturen prüfen. Bild: Wolfgang Kumm/dpa/Archivbild

Die Mitarbeiter der Berliner Feuerwehr sind stinksauer und am Rande ihrer Kräfte. Viel zu oft müssen Rettungswagen wegen Bagatellfällen ausrücken. Das soll sich ändern. Innensenatorin Iris Spranger will jetzt die aktuellen Strukturen prüfen und eventuell das Rettungsdienstgesetz ändern.

Angesichts der Überlastung des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr hat sich Innensenatorin Iris Spranger (SPD) eingeschaltet und lässt die Strukturen überprüfen. „Wir haben eine Steuerungsgruppe gegründet“, teilte die Senatorin am Mittwoch mit. Das vierköpfige Team sei federführend in ihrem Haus angesiedelt und „drehe noch einmal jeden Stein um“.


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Struktuelle Veränderungen

Nötig seien strukturelle Veränderungen für eine dauerhafte Entlastung des Rettungsdienstes. „Es geht jetzt darum, die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr weiterhin zu gewährleisten“, erklärte Spranger.

Zugleich müsste die medizinische Versorgung der Menschen im Notfall gesichert sein. Deshalb sei die Innenverwaltung auch mit der Senatsgesundheitsverwaltung im Gespräch. Auch der Austausch mit Gewerkschaften und dem Personalrat der Feuerwehr solle intensiver erfolgen als bislang, hieß es.

Weniger Bagatellfälle für den Rettungsdienst

Im Fokus steht dabei eine Reduzierung von Einsätzen wegen Bagatellfällen. Dafür müssen die Kriterien angepasst werden, nach denen der Einsatz eines Rettungswagens erfolgt. Geplant ist auch eine Änderung des Berliner Rettungsdienstgesetzes.

Bei einer Personalversammlung der Feuerwehr vor gut einer Woche hatte Innenstaatssekretär Thorsten Akmann versprochen, dass diese schnell erfolgen soll. Zudem soll die Vernetzung von Krankenhäusern und Rettungsdiensten verbessert werden, damit Rettungswagen nicht von Kliniken abgewiesen werden und damit länger als nötig belegt sind. Auch die Einbindung von privaten Anbietern wird geprüft.

180-mal Ausnahmezustand in diesem Jahr

Ausgebrannt und wütend: Die Mitarbeiter der Berliner Feuerwehr können nicht mehr. Bild: IMAGO / Frank Sorge (Symbolbild)
Ausgebrannt und wütend: Die Mitarbeiter der Berliner Feuerwehr können nicht mehr. Bild: IMAGO / Frank Sorge (Symbolbild)

Theoretisch sind bei der Berliner Feuerwehr nach eigenen Angaben tagsüber etwa 140 und nachts etwa 100 Rettungsdienstfahrzeuge im Einsatz. Praktisch sind es oft aber wegen Personalmangels deutlich weniger. Daher mussten die Feuerwehr in diesem Jahr bereits etwa 180-mal den Ausnahmezustand Rettungsdienst ausrufen.

Wie angespannt und aufgeheizt die Stimmung ist, wurde bei der Personalversammlung deutlich. Mitarbeiter berichteten von kaum Pausen, Blaulichtfahrten zu Kleinigkeiten und dadurch fehlende Reserven für richtige Notfälle. Das Rettungsdienstgesetz zu ändern, wurde auf der Versammlung von vielen Mitarbeitern angesprochen. Der Fokus lag dabei auf dem Abfragesystem, um zu evaluieren, ob es sich um einen Notfall handele oder nicht.

Ethische Debatte führen

Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst, Dr. Stefan Poloczek, bezeichnete es als ethische Grundsatzfrage, wann und ob man über das Telefon erkennen könnte, ob ein Notfall vorliege oder nicht. Er sagte: „Bei 500.000 Einsätzen im Jahr sind die größten Skurrilitäten dabei. Und ja, es gibt auch den Schnitt in den Finger, wegen dem mal der Rettungsdienst rausfahren muss.“ Die entscheidende Frage aber sei: Hätte man das erkennen können? Es gebe, so Poloczek, eben auch die Einzelfälle, „wo Menschen sterben, weil wir ihnen die Hilfe verweigert haben.“

Kritik an interner Kommunikation

Durchaus könne man als Mitarbeiter im Rettungsdienst erkennen, ob die Beschwerden „notfallwürdig“ seien, berichtete ein Kollege auf der Personalversammlung. „Wenn ein Notrufgespräch damit losgeht, dass der Patient seine Kopfschmerzen beschreibt, die er seit drei Wochen hat, handelt es sich um Beschwerden, die seit Längerem da sind.“ Und die symbolische 24 Jahre junge Patientin auf der Straße, die über Rückenschmerzen klagt, sei inzwischen eben kein Einzelfall mehr.

Dem Ärztlichen Leiter wurde seitens der Mitarbeiter vorgeworfen, trotz all der Probleme und Beschwerden nie im Rettungsdienst mitzufahren und sich demanch kein reales Bild von der Situation zu machen. „Sie sind viel zu wenig mit draußen, reden viel zu wenig mit Ihren eigenen Leuten“, wurde er von einem Mitarbeiter direkt kritisiert.

„Wir fahren zu viel Blödsinn.“

Dass der außerordentlich schlechte Zustand der Berliner Feuerwehr auf zu wenigen Rettungswagen beruhe, glaube sie nicht, sagte eine weitere Mitarbeiterin – und fand deutliche Worte: „Wir fahren eigentlich zu viel Blödsinn. 70 bis 80 Prozent unserer Einsätze sind eigentlich nichts für den Rettungsdienst.“ Sie forderte: „Wir müssen die Abfrage mehr ertüchtigen.“ Die meisten 112-Patienten seien durchaus in der Lage, selbst mit den Öffis zum Arzt zu fahren.

Seit vergangenen Herbst gibt es bei der Feuerwehr eine Task Force, die Verbesserungen angehen sollte. Passiert ist bislang wenig.

Text: dpa/ Sara Klinke