Berlin (dpa/bb) – Die Berliner SPD-Fraktion will das Verfahren zur Besetzung von Richterstellen im Verfassungsgerichtshof ändern – um den Einfluss extremer Kräfte zu begrenzen, wie sie sagt. Nach ihrem Willen soll in bestimmten Fällen ermöglicht werden, die Mitglieder des höchsten Berliner Gerichts mit einfacher Mehrheit und außerhalb des Abgeordnetenhauses zu wählen. Bisher ist dazu eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landesparlament nötig.
Wie der SPD-Rechtsexperte Jan Lehmann erläuterte, strebt seine Fraktion dazu eine Verfassungsänderung an. Er begründete den Vorstoß vor allem mit dem Erstarken der «Rechtsaußenpartei» AfD in einigen Bundesländern. In Thüringen habe sie nach der jüngsten Landtagswahl eine sogenannte Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Parlamentssitze. Verfassungsänderungen oder andere bedeutende Entscheidungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig sei, sind also nicht ohne die AfD möglich.
SPD will Änderung bis zur Wahl 2026
Nach den Worten Lehmanns sollte sich Berlin rechtzeitig vor der nächsten Wahl des Abgeordnetenhauses 2026 wappnen, um eine solche Macht für «staatsfeindliche Kräfte» zu verhindern – zumindest im Hinblick auf den für die Demokratie extrem wichtigen Verfassungsgerichtshof. Das Gericht, das über die Einhaltung der Verfassung wacht und zum Beispiel die komplette Wahlwiederholung 2023 angeordnet hatte, müsse «krisenfest» gemacht werden.
Konkret schlägt die SPD-Fraktion ein neues Verfahren für den Fall vor, dass die Wahl eines Verfassungsrichters im Abgeordnetenhaus nicht mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt. Dann soll nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten der Verfassungsgerichtshof selbst Kandidaten vorschlagen.
Verfassungssynode wäre komplett neu
Klappt deren Wahl im Parlament dann auch nicht, soll eine sogenannte Verfassungssynode mit einfacher Mehrheit den oder die neuen Verfassungsrichter wählen. Dem Gremium – so die SPD – könnten der Regierender Bürgermeister, Justizsenator, Präsidenten verschiedener Gerichte und Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes angehören. Eine mögliche Sperrminorität der AfD oder anderer politischer Kräfte im Parlament wäre somit umgangen.
Nach Angaben Lehmanns will die SPD den Artikel 84 der Landesverfassung entsprechend ergänzen. Bisher heißt es dort in Satz 1: «Es wird ein Verfassungsgerichtshof gebildet, der aus neun Mitgliedern besteht (einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und sieben Verfassungsrichtern), von denen drei zum Zeitpunkt ihrer Wahl Berufsrichter sind und drei weitere die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes werden durch das Abgeordnetenhaus mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt.»
Kontroverse Debatte
Lehmann zufolge ist der Vorschlag noch nicht mit dem Koalitionspartner CDU abgesprochen. Ziel seiner Fraktion sei es, in die Diskussion mit anderen Fraktionen einzusteigen und möglichst bis Mitte 2025 zu einer Einigung zu kommen. Dann könne die Verfassungsänderung rechtzeitig bis zur Wahl im Spätsommer oder Herbst 2026 beschlossen werden. Eine Verfassungsänderung geht nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit, CDU und SPD bräuchten dazu Stimmen von Grünen und Linken.
CDU-Fraktionschef Dirk Stettner erklärte auf dpa-Nachfrage: «Alle Vorschläge, die dazu beitragen, unsere Demokratie resilient gegen Extremisten zu machen, werden wir in Ruhe seriös prüfen und immer wenn sinnvoll umsetzen.»
Der bisherige rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, findet den SPD-Vorschlag «gut und richtig». «Es muss aber wie im Bund geplant unbedingt auch in der Verfassung festgeschrieben werden, dass alle staatlichen Organe an die Entscheidungen des Gerichts gebunden werden.» Auch hier müsse vorgebaut werden, sagte der Politiker, der vor Kurzem gemeinsam mit vier anderen Abgeordneten aus der Linkspartei ausgetreten war.
AfD wirft SPD undemokratisches Vorgehen vor
Die AfD lehnt den SPD-Vorstoß ab. «Die Sperrminorität bei der Richterwahl steht nicht ohne Grund in der Berliner Verfassung. Sie verhindert, dass eine Regierungsmehrheit die Rechte der parlamentarischen Opposition missachtet, und ist ein Schutz vor Willkür», erklärte der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Marc Vallendar. «Was die SPD hier betreibt, ist ein weiterer Versuch, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln gegen einen imaginären Feind zu verteidigen.»
Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) äußerte sich auf dpa-Anfrage nicht zum SPD-Vorstoß. Einzelne Vorschläge in einer laufenden Diskussion wolle man nicht kommentieren, sagte eine Sprecherin. Für kommenden Montag (4.11.) hat Badenberg zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel «Steht Justitia noch auf festem Boden?» geladen. In der Expertenrunde im Abgeordnetenhaus soll es laut Einladung um die «Wehrhaftigkeit» des Berliner Verfassungsgerichtshofes gehen.
Pläne auch im Bund
Auf Bundesebene wird derzeit über mehr Schutz der Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts diskutiert. Die Ampel-Fraktionen und die Union wollen diverse Regelungen zur Struktur des Gerichts und seiner Richter im Grundgesetz verankern – die dann auch wieder nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu ändern wären.
Bisher sind Änderungen, die das Risiko einer Blockade oder politischen Instrumentalisierung des Karlsruher Gerichts bergen, theoretisch mit einer einfachen Mehrheit möglich.