Cannabispflanzen in ihrer Wachstumsphase stehen unter künstlicher Beleuchtung in einem Privatraum.
Cannabispflanzen in ihrer Wachstumsphase stehen unter künstlicher Beleuchtung in einem Privatraum. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild

Berlin/Bernau (dpa/bb) – Die bevorstehende kontrollierte Freigabe von Cannabis ab Ostermontag ist für den langjährigen Jugendrichter Andreas Müller ein «Paradigmenwechsel». «Nach 50 Jahren werden Millionen Menschen nicht mehr verfolgt und als Kriminelle angesehen, weil sie das Betäubungsmittel Cannabis nehmen», sagt der Richter am Amtsgericht in Bernau bei Berlin der Deutschen Presse-Agentur zur kommenden Teil-Legalisierung des Betäubungsmittels. Er persönlich habe kein Interesse am Anbauen. «Aber meine Frau hat einen grünen Daumen und ist total gespannt auf ein selbst gezogenes Pflänzchen.»

Das Rauchen von Marihuana oder Haschisch ist ab dem 1. April erlaubt, allerdings müssen in der Öffentlichkeit Abstände zu Kindern, Jugendlichen, Kitas, Schulen und Spielplätzen eingehalten werden. 25 Gramm Cannabis dürfen Erwachsene dabeihaben, fünf Gramm mehr bedeuten eine Ordnungswidrigkeit, mehr als 30 Gramm sind strafbar. Konsumenten dürfen Cannabis in bestimmten Mengen selber anbauen oder Mitglied in einem Anbau-Club werden und es so beziehen. Verkauf und Kauf sind aber weiterhin verboten.

Richter sieht bei Gesetz noch Ungereimtheiten

Da muss nach Ansicht des Strafrichters beim Gesetz noch nachgebessert werden. Für Cannabis-Clubs seien die Regelungen im Gesetz noch viel zu bürokratisch. Absurd findet Müller auch die Tatsache, dass man zwar bis zu 50 Gramm Cannabis in der Wohnung besitzen, seinem Nachbarn aber nichts davon abgeben dürfe. Selbst innerhalb der Familie sei eine Abgabe verboten. Wenn Menschen irgendwo Cannabis kauften, müssten sie noch immer mit einer Strafe rechnen. Da müsse nachjustiert werden, meint er. Etwa mit staatlich geprüften Shops oder Fachgeschäften. Dann würde der Schwarzmarkt relativ schnell bekämpft. Der Jurist gilt als eine der stärksten Stimmen für die Legalisierung von Cannabis im Land und setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein.

Richter: Überlastung von Gerichten ist Panikmache

Bereits verhängte Haft- oder Geldstrafen wegen Cannabis-Delikten, die nach dem Gesetz in Zukunft nicht mehr strafbar sind, sollen beim Inkrafttreten erlassen beziehungsweise eingetragene Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Aus den Ländern und vom Deutschen Richterbund gab es Kritik, weil eine Überlastung der Justiz befürchtet wird. Der Richterbund sprach nach Medienberichten von 210.000 Strafakten, die nach dem 1. April aufgearbeitet werden müssten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Kritik zurückgewiesen.

Richter Müller sieht im Argument der Überlastung «Panikmache». Die meisten Verfahren mit Cannabisbezug seien bereits vollstreckt. Viele Fälle könnten mit einem «Federstrich» beendet werden, schätzt der 62-Jährige ein und kritisiert in diesem Zusammenhang den Deutschen Richterbund. Dieser sei «erzkonservativ» und müsse sich mit der neuen Gesetzgebung vielleicht auch eingestehen, dass Strafen, die in diesem Bereich über 50 Jahre verhängt worden seien, ungerecht gewesen seien. Müller war nach eigenen Angaben im November 2023 aus dem Richterbund ausgetreten und gehört weiter der Neuen Richtervereinigung an, die seit Langem die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten fordert.

Droge Alkohol gefährlicher als Cannabis

Der Richter weist in der Debatte um die Gefährdung von Jugendlichen durch das Betäubungsmittel Cannabis darauf hin, dass Alkohol mit etwa 70.000 Toten im Jahr eine weitaus gefährlichere Droge sei. Ein Drittel seiner Fälle in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und Körperverletzung basierten auf Alkoholmissbrauch. In seinen 30 Jahren Richtertätigkeit habe er keinen einzigen Fall gehabt, der infolge von bloßem Cannabisgebrauch zu Übergriffen geführt habe.