Grüne wollen Öffentlichen Nahverkehr besser ausstatten. Neben dem „Gästeticket“ werden innerhalb der Koalitionsgespräche zum Berliner Senat unter anderem eine Citymaut oder eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung diskutiert, um auch eine zusätzliche Geldquelle zur Finanzierung des ÖPNV zu gewinnen.
Längst hat sich das neue Berliner Abgeordnetenhaus konstituiert, doch der neue Senat lässt auf sich warten. Die Stadt befindet sich, politisch gesehen, im Schwebezustand und noch halb im Wahlkampfmodus. Manch ein Beteiligter an den rot-grün-roten Verhandlungen nutzt die Gelegenheit, um sich mit markigen Forderungen zu profilieren.
Zusätzliche Geldquelle
Zum Beispiel die neue Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Sie erneuerte die Forderung ihrer Partei nach einem Nahverkehrs-Pflichtticket für Touristen. Sie nennt es „Gästeticket“. „Besucher würde es kaum davon abhalten, nach Berlin zu kommen, wenn sie ein Ticket bekommen, mit dem sie sich überall bewegen können“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. „Und es würde uns Geld bringen“.
Dritte Finanzierungssäule
In den laufenden Koalitionsverhandlungen sprechen SPD, Grüne und Linke auch über zusätzliche Einnahmequellen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) neben staatlichen Zuschüssen und Einnahmen aus Fahrkarten. Mithilfe einer dritten Finanzierungssäule soll der geplante Ausbau des Nahverkehrs bezahlt werden.
Dafür liegen unterschiedliche Modelle auf dem Tisch. Neben dem „Gästeticket“ werden innerhalb der Koalitionsgespräche unter anderem eine Citymaut oder eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung diskutiert. Jaraschs Favorit ist das „Gästeticket“.
Die IHK Berlin lehnt den Vorschlag ab. „Allein die City-Tax spielte 2019 bereits 51 Millionen Euro in die Haushaltslöcher der Stadt“, so Hans-Jörg Schulze, der Vorsitzende des Tourismus-Ausschusses der IHK Berlin. „Was sollen Touristen noch alles finanzieren?“ In anderen Städten gebe es mit der City-Tax ein Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr geschenkt.
Tourismus ist wichtiges Wirtschaftssegment
„Übernachtungssteuer plus verpflichtendes ÖPNV-Ticket wären einzigartig und würden den Restart des Berlin-Tourismus im europäischen Wettbewerb der Destinationen grob fahrlässig aufs Spiel setzen“, so Schulze laut einem Medienbericht. Er unterstreicht die ökonomische Bedeutung des Tourismus für die Stadt: Vor Corona hätten Touristen 17 Milliarden Euro pro Jahr in der Stadt ausgegeben, rund 200.000 Berliner würden direkt oder indirekt von dem Besucherstrom leben.
CDU sieht Tourismus dann gefährdet
Auch in der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus befürchtet man, ein „Gästeticket“ könnte den Berlin-Tourismus abwürgen. Zur Rolle als zusätzliche Einnahmequelle für den ÖPNV sagt der Verkehrsexperte Oliver Friederici: „Eine bessere Finanzierung sollte lieber Aufgabe des Senats sein, als Menschen, die unsere Stadt besuchen wollen, zu zwingen, eine Zwangsabgabe zu zahlen.“
Der alte und wohl auch neue Koalitionspartner SPD will die Forderung nach einem „Gästeticket“ nicht bewerten. Gut möglich, dass Jaraschs Vorstoß in diesen verlängerten Wahlkampfzeiten im Sande verläuft.
Text: Nils Michaelis, Bild IMAGO/Eibner