Die Berliner Bezirke sollen in den kommenden zwei Jahren weitere 78 Millionen Euro an Personalausgaben einsparen. Mit einem Offenen Brief protestieren mehrere Bezirksbürgermeister gegen die Pläne des Landes Berlin.
„Nachdem den Bezirken Berlins im Rahmen des Zukunftspakts Verwaltung erhebliche Personalmittel in Höhe von über 26 Millionen Euro entzogen worden sind, sind uns Vorgaben gemacht worden, weitere 78 Millionen Euro einzusparen“, heißt es in dem Schreiben der Rathauschefs. „Unter diesen Umständen verfassungskonforme Bezirkshaushalte aufzustellen, wird immer unrealistischer.“
Das geplante Vorgehen führe zwangsweise zu einer weiteren Einschränkung der bürgernahen Dienstleistungen, zu einer Verschlechterung der gesetzlich notwendig zu erbringenden Leistungen und zu einer massiven Kürzung soziokultureller Daseinsvorsorge führen wird. „Über 100 Millionen Euro fehlen im unmittelbaren Dienst an den Bürgern, bei der Erfüllung von Rechtsansprüchen, bei der Servicequalität, in den Ordnungsämtern, den Grünflächenämtern, in der Bildung, bei Personalentwicklung und der Modernisierung des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber.“
Schmerzhafte Entscheidungen
Und weiter: „Wenn der Senat und das Abgeordnetenhaus den Weg der massiven Einsparungen weiterverfolgen, stehen die Bezirke erneut vor Entscheidungen, Investitionen in die Zukunftsfähigkeit zu streichen, Gebäude und Grundstücke zu veräußern und das Personal in den Bezirksverwaltungen dauerhaft zu überlasten.“
Unterschrieben wurde der Protestbrief von den Bezirksbürgermeisterinnen Kirstin Bauch (Grüne, Charlottenburg-Wilmersdorf) und Carola Brückner (SPD, Spandau) sowie von den Bezirksbürgermeistern Sören Benn (Die Linke, Pankow), Uwe Brockhausen (SPD, Reinickendorf), Michael Grunst (Die Linke, Lichtenberg), Martin Hikel (SPD, Neukölln), Oliver Igel (SPD, Treptow-Köpenick) und Gordon Lemm (SPD, Marzahn-Hellersdorf).
Bei den Einsparzielen habe der Senat auf Guthaben und Rücklagen der Bezirke verwiesen. Die Bezirksspitzen konntern, diese Guthaben seien zur Minderung des Defizits in der Globalsummenzuweisung des Landes an die Bezirke und für dringende Investitionen längst fest eingeplant. „Rücklagen werden aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen gebildet und können nicht für Deckungslücken aufgelöst werden.“
Große Unterschiede zwischen Bezirken
Überhaupt gebe es beim finanziellen Polster große Unterschiede zwischen den Bezirken. Dazu Kirstin Bauch (Grüne), Bezirksbürgermeisterin von Charlotttenburg-Wilmersdorf: „Es gibt in unserem Bezirk keine frei verfügbaren Rücklagen oder Guthaben. Aus den Jahren vor dem Corona-Ausgleich sind die Jahresergebnisse im vorliegenden Haushaltsentwurf vollständig eingesetzt. Gelder, die hingegen nicht ausgegeben werden können, sind durch gesetzliche Auflagen gebunden.“
So würden in Charlottenburg-Wilmersdorf Gelder zurückgehalten, um Investitionsmaßnahmen abzusichern. Zudem würden die Gelder für Lehr- und Lernmittel für Schüler vom Land Berlin als angebliche Rücklagen betrachtet. Auch diese Mittel seien zweckgebunden und könnten nicht frei verwendet werden. „Die Bezirke verfügen über kein ,eigenes‘ Geld, sondern sind abhängig von der Zuweisung, die von Senat und Abgeordnetenhaus beschlossen werden“, betont Bauch.
Angesichts der vorläufigen Haushaltswirtschaft habe Charlottenburg-Wilmersdorf Einschränkungen für die Bürger bislang weitgehend vermeiden können. „Schwerer sind die Auswirkungen auf die Menschen in der Verwaltung, da wir nur erschwert Stellen besetzen können oder angemessene Ausstattung anschaffen können“, so Bauch.
„Hier fahren wir weiter auf Verschleiß – auf Kosten des Personals, das jeden Tag hart arbeitet, um in Zeiten der Hilfe für ankommende Geflüchtete und hoher zusätzlicher Belastung durch Corona, vorrangig die bürgernahen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten.“
Kleine Schritte des Senats
Der Bezirk wolle diese Einschränkungen so bald wie möglich beenden. „Dafür braucht es aber ein Abgeordnetenhaus, das die Bedürfnisse der Bezirke auch wahrnimmt“, betont die Bezirksbürgermeisterin.
Der Senat sei erste kleine Schritte auf die Bezirke zugekommen, sagt Bauch. Es reiche aber noch nicht: „Wir haben in Charlottenburg-Wilmersdorf den Bedarf von 123 zusätzlichen Stellen auf sechs gekürzt sowie alle Einnahmen so hoch und alle Ausgaben so niedrig gerechnet wie irgendwie möglich und fachlich vertretbar. Und dennoch ist das Loch mehrere Millionen Euro groß, von dem der Senat jetzt einen kleinen Anteil ausgleichen will.“
Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeisterin Clara Herrmann, die den Brief nicht unterzeichnete, kritisierte die öffentliche Auseinandersetzung. In der Sache sieht sie die Sache jedoch ähnlich wie ihre Kolleginnen und Kollegen: „Die finanzielle Situation ist in allen Bezirken dramatisch, auch in Friedrichshain-Kreuzberg“, sagte sie dem „Tagesspiegel“.
Senat sieht deutliches Plus
Herrmann forderte insbesondere mit Blick auf die vom Land im Zusammenhang mit dem Zukunftspakt Verwaltung eingezogenen Personalmitteln eine zügige Zuweisung an die Bezirke, da diese immer noch im Haushalt vorhanden seien, das Land die Verteilung nun jedoch an Bedingungen knüpfen wolle.
Aus Sicht des Berliner Senats stellt sich die Finanzplanung anders dar. Bis zur Sommerpause soll der neue Doppelhaushalt des Landes Berlin für die Jahre 2022 und 2023 verabschiedet werden.Der Haushaltsplan für die Landesebene sieht für das Jahr 2022 Ausgaben von rund 36,4 Milliarden Euro und für 2023 etwa 35,7 Milliarden vor. Dies sei ein deutliches Plus gegenüber älteren Planungen, hieß es aus Senatskreisen.
Die Verwaltung und der öffentliche Dienst würden mit dem Haushaltsentwurf weiter gestärkt. In den beiden Haushaltsjahren werden insgesamt mehr als 3.700 neue Stellen geschaffen. Das Wachstum der Personalausgaben werde jedoch gedämpft.
„Betrug es 2021 noch 6,5 Prozent, so sind für das Jahr 2023 noch 2,7 Prozent vorgesehen, da der Nachholbedarf aus der Konsolidierungszeit zu einem Ende kommt“, so der Senat. Außerdem habe Berlin 2021 die Besoldungs- und Versorgungsbezüge an den Durchschnitt der anderen Bundesländer angepasst.
Mehr Geld für Bezirke
Die Bezirke erhalten nach dem Entwurf im Jahr 2022 Zuweisungen in Höhe von rund 7,755 Milliarden Euro, im Jahr 2023 sind es gut 7,764 Milliarden Euro. „Gegenüber dem Jahr 2020 stehen ihnen damit zusätzliche Mittel in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro zur Verfügung“, heißt es vom Senat. Neben dem Personalaufwuchs würden die Bezirke von zusätzlichen Sanierungsmitteln in Höhe von insgesamt 48 Milionen Euro profitieren.
Text: Nils Michaelis