Der bevorstehende Wegfall fast aller Corona-Schutzmaßnahmen ist mit vielen Risiken verbunden.
Wer dem Wechselspiel aus Lockdowns und Lockerungen während der letzten zwei Jahre bereitwillig gefolgt ist, hat Probleme, in der aktuellen Corona-Politik eine Logik zu erkennen. Wie kann es sein, dass trotz der Rekord-Inzidenzen in Kürze nahezu alle Corona-Vorschriften wegfallen sollen? So sieht es das geänderte Infektionsschutzgesetz vor.
Steigen die Corona-Zahlen, werden die Regeln verschärft. Sinken sie, wird das Leben wieder „normaler“. So war es bislang. Nun steuert auch Berlin auf einen „Freedom Day“ zu, den so niemand nennt. Und das angesichts der Tatsache, dass die Zahl der täglich bundesweit registrierten Corona-Neuinfektionen letzte Woche erstmalig die Marke von 300.000 geknackt hat.
Entspannte Lage in Kliniken
Befürwortern des Öffnungskurses spielt in die Hände, dass die Lage in den Krankenhäusern in der aktuellen Omikron-Welle im Vergleich zum Frühjahr 2021, als die Delta-Variante vorherrschte, relativ entspannt ist.
Doch wie lange wird das so bleiben? Längst sind neue Virus-Mutationen im Anmarsch. Und auch die deutschlandweit noch immer unbefriedigende Impfquote lässt viele denken, dass das Aus für die umfassenden Schutzmaßnahmen viel zu früh kommt.
In dieser Situation eine weitreichende politische Entscheidung zu treffen, die allen schmeckt, ist unmöglich. Der Bund hat sich klar für mehr Freiheiten entschieden, hält mit Hotspot-Regelungen durch die Länder zugleich eine Tür für Verschärfungen offen.
Erneut im Lockdown
Dieser Weg birgt Risiken, zumal für Menschen mit gefährlichen Vorerkrankungen, die sich womöglich nicht impfen lassen können. Sie werden erneut in den Lockdown geschickt. Wie mag es sich für sie anfühlen, dass die bevorstehende Öffnung dem Wunsch breiter gesellschaftlicher Kreise, und wohl auch der FDP, nachkommt?
Das Für und Wider zeigt sich auch beim Blick auf die Details. In Berlin muss ab dem 1. April in Schulen und Geschäften keine Maske mehr getragen werden, wohl aber im Öffentlichen Personennahverkehr sowie in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen.
Die Gegner der Maskenpflicht an Schulen jubeln. Familien mit Kindern mit Vorerkrankungen protestieren. Der Landeselternausschuss findet den Wegfall der Maskenpflicht nicht nachvollziehbar und völlig verfrüht. Zu angespannt sei die Lage angesichts steigender Inzidenzen.
Allgemeine Impfpflicht
Dieser Tage lohnt sich ein Blick nach Österreich. Anfang März wurde der „Freedom Day“ ausgerufen. Wenig später stiegen die Corona-Zahlen rasant. Mittlerweile gilt vielerorts wieder die FFP2-Maskenpflicht. Die weitere Entwicklung ist völlig offen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vor einer Rückkehr zu Corona-Einschränkungen hierzulande im Herbst gewarnt, sollte nicht endlich die allgemeine Impfpflicht kommen. Die Erwartungen an die Politik, hier endlich zu liefern, sind groß. Auch, weil die neuen Freiheiten ansonsten womöglich nur von kurzer Dauer sind.
Text: Nils Michaelis