Die Grünen-Landesvorsitzende nennt den erneuten Angriff im Wahlkampf «ein  trauriges Zeichen für den Zustand unserer demokratischen Kultur». (Archivbild)
Die Grünen-Landesvorsitzende nennt den erneuten Angriff im Wahlkampf «ein trauriges Zeichen für den Zustand unserer demokratischen Kultur». (Archivbild) Foto: Soeren Stache/dpa

Hohen Neuendorf/Potsdam (dpa/bb) – Es war vor der Mittagszeit, als ein Wahlhelfer der Grünen in der Kleinstadt Hohen Neuendorf, rund 20 Kilometer von Berlin entfernt, attackiert wird. Der ehrenamtliche Unterstützer der Partei verteilte gerade Flyer. Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September wächst die Unsicherheit – der Wahlkampf wird auch zum persönlichen Risiko. Schon seit Monaten gibt es die Debatte über eine zunehmende Verrohung mit der Frage, ob viele nach den zunehmenden Angriffen und Anfeindungen von einem Engagement in der Politik zurückschrecken.

Die Sprecherin des Kreisverbandes der Grünen in Oberhavel, Anne Schumacher, sagte: «Wir, als Grüne, werden nur noch angefeindet, egal, was wir machen.» Schumacher kandidiert für den Landtag. Aber es trifft längst nicht nur die Grünen, die mit Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse einen besonders schweren Stand haben. In Cottbus wurde die CDU-Landtagskandidatin Adeline Abimnwi Awemo rassistisch beleidigt angegriffen, zuvor wurden Wahlhelfer der Linken beim Aufhängen von Plakaten angegangen.

Grünen-Landesvorsitzende: Bedrohung für Demokratie

Grünen-Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup sagte einen Tag nach dem Vorfall in Hohen Neuendorf: «Es ist auch eine Bedrohung für unsere Demokratie, wenn man sich beim Wahlkampf nicht mehr sicher fühlen kann.» Gewalttätige Auseinandersetzungen seien zum Glück noch die Ausnahme. Allerdings häuften sich Berichte von Beschimpfungen und Beleidigungen am Wahlkampfstand und beim Aufhängen von Wahlplakaten. «Wir sind entschlossen, unsere demokratischen Werte zu verteidigen und lassen uns nicht einschüchtern.»

Staatsschutz ermittelt nach Angriff

Der Angriff auf den Wahlhelfer erfolgte laut Polizei am Dienstagvormittag gegen 11.30 Uhr in Hohen Neuendorf nördlich von Berlin, als er Flyer der Grünen verteilte. Ein bislang unbekannter Mann habe ihn angesprochen und seinen Unmut darüber ausgedrückt. Es kam laut Polizei zum Streit zwischen den beiden Männern.

Der Täter stieß den 68 Jahre alten Ehrenamtlichen zu Boden und entriss ihm die Tasche mit den Flyern. Dann rannte er laut Polizei weg. Der 68-Jährige sei leicht verletzt worden. Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz ermittelt.

Bürgermeister an Täter: Soll sich stellen und kooperieren

Auch CDU-Bürgermeister Steffen Apelt verurteilte die Tat und schrieb auf der Homepage der Stadt Hohen Neuendorf: «Vertreterinnen und Vertreter vieler Parteien machen derzeit vielerorts Gesprächsangebote. Sie haben dabei sicher auch ein offenes Ohr für kritische Töne, Frustrationen oder angestaute Wut.» Einziges Mittel sei aber der Dialog.

Apelt richtete sich auch an den Angreifer: «Dem mutmaßlichen Täter lege ich nahe, sich zu stellen und umfassend zu kooperieren, bevor er gestellt wird.»

Aktion der Grünen in Hohen Neuendorf nach dem Angriff

Nach dem Angriff soll es am heutigen Abend (18.00 Uhr) ein Treffen von Grünen-Politikerinnen und Politikern in Hohen Neuendorf geben. Auch die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 22. September, Antje Töpfer, wird erwartet. Die Wahlkämpfer wollen neue Plakate aufhängen und Wahlflyer in Briefkästen verteilen.

Auf die Polizei dürften künftig auch mehr Einsätze zukommen, um Wahlkampf-Aktionen zu schützen. Die Grünen in Bandenburg kündigten etwa gemeinsame Wahlkampf-Auftritte auch mit den Bundesministern Robert Habeck und Annalena Baerbock an. Zudem schulen die Parteien ihre Mitglieder, um an Wahlkampfständen selbst deeskalieren zu können. 

Im Fall von Hohen Neuendorf schilderte die Grünen-Politikerin Schumacher, der Angegriffene sei etwa 1,90 Metern groß und geschult in «mediativen Gesprächen». Und dennoch: «Es kam sofort Wut und es kam sofort Gewalt. Wie soll man da noch demokratisch agieren?»