Potsdam (dpa/bb) – Modedesigner Wolfgang Joop sitzt lässig und im Pulli in seiner Wohnküche in Potsdam. In der Nähe von Park Sanssouci lebt er heute mit seinem Partner auf dem umgebauten Anwesen seiner Großeltern, wo er seine Kindheit verbrachte. Am kommenden Montag (18. November) wird Joop 80 Jahre alt und beantwortete im Interview der Deutschen Presse-Agentur einige Fragen.
Frage: Sie sind Modedesigner, aber auch Zeichner – bringen Sie noch jeden Tag etwas zu Papier?
Joop: Momentan zeichne ich sehr schnell. Ganz komisch, aber ich habe auf jeden Fall so ein Tempo drauf, als ob ich nicht viel Zeit hätte. Also, so gebe ich ja auch Interviews.
Frage: Wieso arbeiten Sie denn noch – oder denken Sie ans Aufhören?
Joop: Die meisten Leute begegnen mir so im Tonfall: «Willst du jetzt nicht endlich mal vernünftig werden? Oder: «Fahr doch mal in den Urlaub». Meine Überpräsenz war schon manchmal einigen Leuten zu viel. Ich habe früher jeden Job angenommen, der sich mir geboten hat. Ich bin fleißig, aber das beinhaltet auch so was Preußisches. Aber man muss das jetzt alles auch noch physisch hinkriegen. Ich meine, früher brauchte ich keine Brille, jetzt funktioniert die, die ich gerade hatte, auch schon wieder nicht.
Frage: «Ich fühl’ mich viel zu jung, um 80 zu sein» – so haben Sie es vor Kurzem auch gesagt…
Joop: Das ist für mich ein bisschen ein fremder Typ, den ich nicht mag. Und ich meine, mir passen dieselben Sachen, die ich vor 40 Jahren anhatte. Aber ich habe auch fünf Enkel, was nicht so üblich ist bei den Armanis und bei Lagerfeld. Die Enkel sind schon sehr aufgeklärt und alle hochbegabt, aber ich helfe schon mal aus – mit einem Oversized-Pulli.
Frage: Wie viele Gedanken machen Sie sich darüber, was Sie anziehen sollen?
Joop: Ich mag es am liebsten bequem, und ich habe mein Leben lang Secondhand getragen. Auf dem Internat habe ich die Klamotten von meinem Großvater vorgeführt, weil ich nichts Neues kaufen konnte und auch nichts Neues bekam. Also habe ich dann aus dem Mangel eine Attitüde gemacht. Und das sage ich so oft: Es kommt ja mehr auf die Pose an, als auf das, was man trägt. Ich finde, es geht um die Persönlichkeit dabei, dass du einfach deine Aura pflegst.
Frage: Was sagen Sie denn zur gewissen Mainstream-Mode, die man auf den Straßen sieht?
Joop: Kommt aus dem Mainstream heraus! Momentan ist diese Egalität ja unfassbar. Ich wundere mich immer, wie das funktioniert, dass alle auf einmal blond sind. Alle sind unglaublich beige. Und dann sehe ich natürlich mittlerweile auch, dass es doch mehr die Angst vor der Dysmorphologie gibt, dass man physisch nicht da reinpasst. Und es gibt ja immer mehr Standards, wie junge Frauen aussehen müssen. Das kommt einfach durch Social Media.
Frage: Gehen Sie eigentlich auch mal in einen Laden der Billig-Modeketten?
Joop: Ein-, zweimal war ich natürlich bei H & M, aber die Marke ist mir nicht so irrsinnig sympathisch, obwohl sie tolle Sachen gemacht und mit Topdesignern gearbeitet haben. Aber ich mag oft diese Lieblosigkeit und Respektlosigkeit nicht. Aus dem Überfluss wurde auch so ein Verdruss. Ich hatte ja das große Glück, mit der Firma Hess Natur zu lernen, wie man nachhaltig arbeiten kann. Da war zum Beispiel eine bestimmte Menge Baumwolle, die wir bekommen haben, die noch nie ein Pestizid gesehen hat. Und die Arbeit mit nachhaltiger Mode hatte dadurch auf einmal so eine Würde. Ich habe auf einmal die Würde der Kleidung wieder entdeckt.
Frage: Wie schauen Sie heute auf die Modewelt?
Joop: Das ist ein Planet, auf den jeder hinkommen darf, solange man talentiert ist oder schön oder was zu sagen hat, aber du fliegst auch ganz schnell raus. Es ist ganz schnell ein Planet des Verschwindens. Aber die Mode hat auch so einen Suchtcharakter, man will da mehr von und man will den Kick und man will die Euphorie.
Frage: Fallen Ihnen heute Supermodels ein?
Antwort: Ich kenne keine Model-Gesichter gerade. Kate Moss, Nadja Auermann, Claudia Schiffer, das waren Stars. Die kamen aus dem Auto raus wie Popstars, mit Bodyguards und all dem Ganzen. Das war eine ganz andere Zeit – mit Gianni Versace, Karl Lagerfeld und dieser alten Garde. Aber was ist heute los bei Prada? Es gibt heute keine Design-Stars, und es gibt keine Model-Stars. Es gibt nur noch diese Sex-Plastik-Frauen, sie wirken völlig angestrengt in ihrem Look und in halbnackten Outfits.
Frage: Als Student der Kunstpädagogik in Braunschweig haben Sie Gemälde Alter Meister gewissermaßen kopiert, um Geld zu verdienen…
Joop: Es hat mir Spaß gemacht, das Terpentin zu riechen. Ich bin zu Restauratoren in Braunschweig gegangen. Ich wollte ihnen über die Schulter schauen, denn die sind unglaublich kompliziert, diese Bilder.
Frage: Sie hätten als Maler Karriere machen können?
Joop: Ich war ja auf der Kunsthochschule. Ich sollte, wie mein Vater es wollte, Kunsterzieher werden. Bloß kein Maler, brotlos. Und ich kam dann genau in diese Pop-Art-Szene. Das passte mir gar nicht, das fand ich nicht spannend. Diese Happening-Orgien – da wurden Schweine geschlachtet, man wälzte sich im Blut – gingen mir so auf die Nerven. Dann lernte ich auch Karin (Red.: Joops heutige Ex-Frau) kennen, und die machte mich mit der Mode bekannt. Sie hat mir gesagt: „Mach das mal ein bisschen flotter, zeichne das noch mal.“
Frage: Sie könnten in Paris oder New York leben – sie sind vor Jahren nach Potsdam-Bornstedt zurückgekehrt, dem Ort Ihrer Kindheit. Warum war die Sehnsucht nach diesem Ort so groß?
Joop: Es ist ein gewisser Suchtcharakter, eine Sucht nach dieser Heimat und ich mag mich momentan – vielleicht liegt es am Alter – kaum wegbewegen. Dazu kommen die weiten Reisen, die ich hinter mir hatte. Und ich schaue hier alles an und denke: Mein Gott, wie lange habe ich das so als selbstverständlich gesehen. Als meine Eltern starben, habe ich die Verpflichtung gespürt, es für die nächste Generation aufzubewahren. Und wenn mich früher jemand fragte «Wo kommen Sie denn her?» sagte ich: I’m coming from East Germany, weil es für die anderen ein unerreichbares Land war. Die anderen berichteten von Reisen nach Honolulu, aber in die DDR, da kamen sie nicht hin.
Frage: Jetzt werden Sie 80 – wie leicht fällt es Ihnen, die Zahl auszusprechen?
Joop: Ich finde, es ist wie ein schlechter Scherz, ehrlich gesagt. Ich kann nicht sagen, dass ich auf mich im Alter furchtbar gespannt bin. Und Weisheit stellt sich überhaupt nicht ein, außer hin und wieder die Kränkung des Körperlichen, dass man auf einmal nicht mehr diese Energie hat.
Frage: Sie sprechen immer wieder auch über die Beschäftigung mit dem Tod…
Joop: Ich merke eben deutlich, dass ich mich illusionslos auf die Reise machen will. Ich will, bis es nicht anders geht, mein eigener Herr sein. Ich stelle mir eben auch vor, wie es ist, das Nichts zu betreten. Darüber denke ich ziemlich oft nach. Jemand wie ich, der so eine große Vorstellungskraft hat, der so viel abrufen kann aus dem Hinterstübchen des Gehirns an Erinnerung, an Visionen auch, kann sich das nicht vorstellen.
Frage: Kommt jetzt doch eine wilde Geburtstagsparty?
Joop: Ich finde Partys sehr anstrengend, denn auch da versuche ich dann vielleicht verzweifelt, am längsten aufzubleiben. Aber nein, ich mache einfach das, was ich immer vernachlässigt habe: Die Opa-Pose. Ich will mich den Enkeln widmen, und abends treffe ich mich mit den engsten Freunden.