Wahlgewinner Kai Wegner von der CDU mit der Wahlverliererin Franziska Giffey (SPD). Archivbild: IMAGO/Future Image
Wahlgewinner Kai Wegner von der CDU mit der Wahlverliererin Franziska Giffey (SPD). Archivbild: IMAGO/Future Image

Franziska Giffeys SPD bekommt eine historische Klatsche. Die CDU muss erst noch beweisen, dass sie regierungsfähig ist. Berlin steht vor einer schwierigen Regierungsbildung.

Als Franziska Giffey am Sonntagabend mit zitternder Stimme und versteinerter Miene vor ihre Genossen trat, war klar: Für die Berliner SPD und ihre Regierende Bürgermeisterin wird es nach der Wiederholungswahl hart.

In der Vergangenheit nannten sich die Sozialdemokraten „die Berlin-Partei“.  Mit dem historischen schlechten Abschneiden bei der Abgeordnetenhauswahl ist die SPD davon weit entfernt. Mit drei Prozent Verlust setzt sie den Abwärtstrend der letzten Jahre fort und landet laut vorläufigem Ergebnis gemeinsam mit den Grünen, die 0,5 Prozent einbüßten, bei 18,4 Prozent.

Besonders bitter aus Sicht der SPD: Neben Giffey konnten auch andere führende Sozialdemokraten wie Bausenator Geisel und Fraktionschef Raed Saleh kein Direktmandat erringen. Das riecht nach einer persönlichen Abstrafung.

SPD verliert Hochburgen

Nicht nur bei der Wahl auf Landesebene wurde die SPD mächtig gerupft. In keinem Bezirksparlament ist sie mehr stärkste Kraft. In ehemaligen Hochburgen wie Treptow-Köpenick und Spandau liegt nun die CDU vorn.

Auch in Neukölln, wo Giffeys politischer Aufstieg begann. Seit 2001 stellt die SPD dort die Bezirksbürgermeister. Die CDU gewinnt 10,3 Prozent hinzu und landet bei 27,2 Prozent, die SPD kommt auf 24,1 Prozent. Theoretisch können die bisherigen Bezirksbürgermeister und Stadträte in Neukölln und anderswo ihr Amt behalten. Den Wählern wäre es allerdings schwer zu vermitteln, wenn Wahlverlierer an ihren Stühlen kleben. Das gilt natürlich auch für den SPD-geführten Berliner Senat.

CDU ist klarer Wahlsieger

Die CDU legte bei der Abgeordnetenhauswahl um 10,2 Prozent zu. Mit einem Ergebnis von 28,2 Prozent, dem besten Resultat seit 1999, sind die Konservativen klarer Wahlsieger. Man kann darin den Auftrag für Spitzenkandidat Kai Wegner sehen, eine neue Regierung zu bilden.

Doch es gibt viele Gründe, an der Regierungsfähigkeit der Berliner CDU zu zweifeln. Ihr Sieg hat einen üblen Beigeschmack. In Umfragen lag sie lange gleichauf mit SPD und Grünen oder knapp vor ihnen. Nach den Silvesterkrawallen schossen die Prozente nach oben.

In dieser Zeit machte die CDU mit zugespitzten Positionen zu Migranten von sich reden: bis hin zu der Forderung, die Vornamen von Randalierern herauszugeben, um zu ermitteln, ob sie „echte Deutsche“ sind. Damit war die Union nah bei der AfD. Und Lichtjahre entfernt von den Grünen, dem möglichen Koalitionspartner.

Viel heiße Luft

„Jetzt ist nicht die Zeit für Taktierer, jetzt ist die Zeit für Macher“, sagte Wegner nach der Wahl und wiederholte gebetsmühlenartig, man müsse endlich Berlins unzählige Probleme lösen. Auch Wegner und die CDU müssen endlich deutlich machen, was sie konkret mit Deutschlands größter Metropole vorhaben.

Seit dem Wechsel in die Opposition 2016 gab es dazu vor allem viel heiße Luft. Und es sollte nicht vergessen werden, dass auch die CDU als langjährige Regierungspartei vieles von dem zu verantworten hat, woran diese Stadt krankt.

Umfragen zufolge war die Wiederholungswahl eine Protestwahl: gegen den unbeliebten rot-grün-roten Senat und gegen alles, was in dieser Stadt schiefläuft. Um es nicht zu vergessen: Auch der Urnengang selbst ist eine Folge des chronischen Verwaltungsversagens.

Immer mehr Nichtwähler

Da wirkt es irritierend, dass mit der FDP ausgerechnet jene Partei aus dem Parlament geflogen ist, die sich besonders radikale Forderungen für eine Verwaltungsreform hervorgetan hat. Offenbar waren die Wahlberechtigten wenig an Sachpolitik interessiert.

Auf eine solche hatte die Linke in den Monaten vor der Wiederholungswahl gesetzt. Sie verlor „nur“ 1,9 Prozent. Die AfD legte um 1,1 Prozent zu und erreicht 9,1 Prozent. Das Ziel, zweistellig zu werden, hat sie verpasst. Rechtslastiges Protestpotenzial hat in dieser Stadt offenbar Grenzen.

Den größten Stimmenzuwachs verzeichnete übrigens das Lager der Nichtwähler. So stimmten 262.000 Berliner weniger als 2021 ab. Egal, wer die Stadt künftig regiert: Diesen Trend zu stoppen, zählt zu den dringlichsten Aufgaben.

Text: Nils Michaelis