In Brandenburg ist laut Fachstelle die Zahl antisemitischer Vorfälle gestiegen. Dervis Hizarci, der Vorstandsvorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, spricht von einer erschreckenden Entwicklung (Archivbild).
In Brandenburg ist laut Fachstelle die Zahl antisemitischer Vorfälle gestiegen. Dervis Hizarci, der Vorstandsvorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, spricht von einer erschreckenden Entwicklung (Archivbild). Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Potsdam (dpa/bb) – Jüdinnen und Juden sehen sich unverhohlen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt, auf der Straße und oft im Internet. Es passiert überall in Brandenburg, wie die Fachstelle Antisemitismus sagt. 

Einige Beispiele aus dem vergangenen Jahr: Ein junger Mann wird in Potsdam wegen seiner Davidstern-Kette angegriffen. In Ortrand im Kreis Oberspreewald-Lausitz kommt es zu einem Angriff mit einem Badeballschläger, das Opfer wird als «Judensau» beleidigt. Auch von Beschimpfungen in einem Klassenchat in Brandenburg an der Havel berichtet die Fachstelle Antisemitismus.

Zahl der antisemitischen Fälle steigt auch in Brandenburg

Die Beratungseinrichtung erfasste im vergangenen Jahr 377 antisemitische Vorfälle. Dies sei in Brandenburg ein Zuwachs von 173 Taten im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings habe es auch eine bessere Quellen- und Datenlage gegeben, hieß es bei der Vorstellung des Monitoringberichts der Fachstelle in der Staatskanzlei in Potsdam. 

Die Zunahme der Fallzahlen sei erschreckend, sagte der Vorstandvorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Dervis Hizarci. «Es gibt eine große Bedrohung.» Es verändere sich zugleich aber auch das Meldeverhalten in der Gesellschaft. 

Meist geht es bei den Vorfällen um antisemitische Äußerungen und auch Bedrohungen. 2003 wurden zudem drei Fälle extremer Gewalt registriert. Auch in Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nahmen antisemitische Vorfälle zu, etwa bei den Kommentaren in Gästebüchern. Bei 133 der insgesamt 377 Fälle war der Tatort das Internet.

Beratungsstelle: Die Hemmschwelle sinkt

Der Großteil der Taten komme aus dem rechten Umfeld, erläuterte der Leiter der Fachstelle, Joachim Seinfeld. «Die Hemmschwelle sinkt.» Aber auch seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober haben laut Experten die Feindseligkeiten gegen Juden in der Bundesrepublik eine neue Dimension erreicht. «Leute äußern jetzt eher schon mal, dass sie Juden doof finden und machen es an der israelischen Politik fest», sagte Seinfeld.

«Rechtsrock wird auch in Fußball-Kabinen selbstverständlicher» 

Antisemitismus ist auch im Sport anzutreffen, laut Beratungsstelle vor allem im Amateur-Fußball. Rechtsrock werde viel selbstverständlicher in den Mannschafts-Kabinen gespielt, sagte Hizarci. «So dass man dann, während man sich umzieht, weiß: der Gegner macht sich gerade warm mit Rechtsrock-Musik voller antisemitischer und rechter Inhalte.»

Landkreis Oberhavel und Stadt Potsdam mit den meisten Vorfällen

Die meisten antisemitischen Vorfälle ereigneten sich im Jahr 2023 mit 55 Taten im Landkreis Oberhavel. Dort liegen die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück, die steigende Fallzahlen melden. Dann folgen Potsdam (45 Fälle), Barnim (33), Cottbus (31) und Märkisch-Oderland (24). 

Bildungsarbeit gefragt

Hizarci sieht die Bildungsarbeit gefragt, um Antisemitismus einzudämmen. «Wir dürfen im Bereich der historisch-politischen Bildung nicht nachlässig sein.» Angesichts zunehmender Schmierereien von Kindern und Jugendlichen in KZ-Gedenkstätten sagte Hizarci noch: «Es gehört zur Vorbereitung einer Gedenkstätten-Reise mit dazu, dass man vielleicht auch noch mal Benimmregeln an solchen Orten festhält.»

Die Bevollmächtigte des Landes beim Bund, Staatssekretärin Friederike Haase, sagte angesichts des Anstiegs antisemitischer Vorfälle, das Land werde Betroffenen und Initiativen den Rücken stärken. Jüdisches Leben werde in Brandenburg auch immer stärker sichtbar. Haase nannte die Einweihung des neuen Synagogenzentrums vor kurzem in Potsdam. Sie verwies auch darauf, dass der Landtag den Kampf gegen Antisemitismus und die Förderung der jüdischen Kultur als Staatsziel in der Verfassung verankert habe. Zudem engagiert sich seit Juni auch der erste Antisemitismusbeauftragte des Landes, Andreas Büttner, gegen Hass und Hetze.