Der Senat will mehr Termine pro Tag möglich machen.
Die Wartefristen für einen Termin bei einem Berliner Bürgeramt sind noch immer viel zu lang. Bürger, die über das Internet oder die zentrale telefonische Einwahl 115 buchen möchten, können derzeit – je nach Anliegen und gewünschtem Bürgeramt – mit einer Wartezeit von bis zu acht Wochen rechnen. Ein Beispiel: Termine in einem der Bürgerämter in Neukölln sind momentan ab Anfang März wieder buchbar. Das zeigt, dass es noch immer zu wenig Terminmöglichkeiten gibt. Die Zahl der buchbaren Termine soll nun kräftig erhöht werden. Dafür hat sich die Senatsverwaltung eine Strategie ausgedacht, mit der sie bereits im April 2019 tätig war.
Die Rechnung
Statistisch gesehen dauert die durchschnittliche Bearbeitung eines Kundenanliegens rund neun Minuten. Bis Anfang 2019 hatte man dieser Zeitspanne einem zeitlichen Slot von 15 Minuten eingeräumt. Mit Senatsbeschluss des vergangenen Jahres wurde diese durchschnittlich veranschlagte Bearbeitungszeit um drei Minuten gekürzt – zwanzig Prozent mehr Terminmöglichkeiten konnten danach zur Verfügung gestellt werden. Jetzt will der Senat erneut die Taktzahl erhöhen. Statt zwölf sollen nun zehn Minuten pro Kunde reichen.
Diese Pläne waren Mitte Januar auch auf der Tagesordnung im Rat der Berliner Bezirksbürgermeister. Dort stieß der Senatsvorschlag auf wenig Gegenliebe – durch die zu dichten Takte befürchtet man eine Überbelastung der Mitarbeiter. Die Bezirkschefs empfahlen die Überweisung dieses Senatsantrags in einen Fachausschuss zur näheren Untersuchung. Für den Senat ist dieser Beschluss jedoch nicht bindend. Die Entscheidung könnte trotz dieser Empfehlung der Bürgermeister in einer der nächsten Senatssitzungen beschlossen werden. Auch von Gewerkschaftsseite erntet der Senat Kritik für diesen Vorstoß. „Die vorgeschlagene Lösung geht in die völlig falsche Richtung und berücksichtigt nicht die tatsächliche Lage vor Ort“, schätzt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Marion Kruck die aktuelle Lage ein. Seit Jahren seien die Bürgerämter bei steigenden Serviceleistungen personell unterbesetzt. Auch das Verhalten vieler Kunden, vorsorglich mehrere Termine zu buchen und nicht benötigte dann nicht abzusagen, verschärfe die Situation.
Politischer Druck
In Neukölln etwa gab es in 2018 131.263 Terminbuchungen, von denen 23.000 nicht wahrgenommen wurden. Im vergangenen Jahr war die Quote mit 26 Prozent nicht wahrgenommener Buchungen noch höher. Das angestrebte Ziel, innerhalb von 14 Tagen einen Termin vergeben zu können, ließe sich daher oft nicht erreichen. An dieser Lage könne auch politischer Druck nicht viel ändern.
Die Senatsverwaltung verteidigt indes ihr Anliegen. „Durch verkürzte Taktzeiten noch mehr Termine anzubieten, ist sinnvoll, weil ohnehin 15 bis 25 Prozent der Kunden zu einem gebuchten Termin nicht erscheinen. Die Mitarbeiter nutzen die daraus entstehende Zeit für Spontankunden, ziehen Terminkunden vor oder es werden entstandene Verzögerungen kompensiert. Wenn es mehr buchbare Termine gibt, kann eine bessere Verlagerung der Kundenströme von Spontan- zu Terminkunden erreicht werden.“
Aus der Sicht von Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) ist eine Verkürzung der Taktzeiten kein sinnvolles Instrument, um die Bürgerämter fitter zu machen. „Der Rat der Bürgermeister hat diesen Vorschlag auch deshalb einmütig abgelehnt. Die Mitarbeiter in den Bürgerämtern sind motiviert und engagiert, eine Verkürzung der Zeit pro Dienstleistung würde genau das Gegenteil hervorrufen und Chaos stiften“, so Hikel. Die derzeit 61 Mitarbeiter in den Bürgerämtern (acht Stellen sind in der Ausschreibung) hätten keine verlässliche Planung mehr und würden unter permanentem Zeitdruck stehen.
Bezirke protestieren
Auch aus anderen Bezirken kommt Widerspruch. Michael Karnetzki, der zuständige Stadtrat in Steglitz-Zehlendorf, wirft dem Senat vor, die bisherige kooperative und gesamtstädtische Steuerung der Leistungen der Bürgerämter „über den Haufen zu werfen“ und stattdessen eine Taktverdichtung „von oben“ anzuordnen: Diese sei auch in der Sache falsch: „Die Anzahl von Dienstleistungen und Terminen ist von nichts anderem abhängig als von der Anzahl der vorhandenen Mitarbeiter. Es kommt darauf an, dass der Termintakt nicht so angelegt ist, dass Leerlauf entsteht“, so der SPD-Politiker. „Dies behauptet aber gegenwärtig niemand.“
Das Hauptproblem der Bürgerämter, so Karnetzki, sei die hohe Personalfluktuation. Angesichts dieser Lage sei die beabsichtigte Terminverdichtung nicht nur nicht zielführend, sondern geradezu schädlich. Karnetzki rechnet mit weiterem Streit zwischen Senat und Bezirken.
Datum: 30. Januar 2020. Text: ylla/sara/nm. Foto: Getty Images Plus/iStock/coffeekai.