Praxen sollen aus noblen Bezirken in sozial schwächere Kieze wechseln.

In Pankow sieht es mit der hausärztlichen Versorgung gar nicht so schlecht aus: Seine 370.000 Bewohner können aus mehr als 250 Hausärzten wählen; ein Versorgungsgrad von rund 121 Prozent. Die 302.000 Einwohner in Charlottenburg-Wilmersdorf dagegen haben 290 Hausärzte und sind zu 165 Prozent (über)-versorgt. Statistisch gesehen hat Berlin ausreichend Ärzte, liegt bundesweit mit an der Spitze. Doch im Detail rumort es, wie Tausende Berliner täglich auf der Suche nach einer ortsnahen Praxis leidvoll erfahren. Die Ärzteversorgung zwischen und innerhalb der Bezirke ist ungerecht, ärmere Kieze und Randlagen sind zum Teil stark unterversorgt. Ein wachsendes Problem für weniger mobile Rentner oder Familien mit Kindern, die zu einem Arzttermin oft durch die ganze Stadt fahren müssen.

Erweiterte Möglichkeiten

Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) verweist auf 158 Praxen, die in den letzten drei Jahren ganz überwiegend in unterversorgte Gebiete verlegt wurden. Er ist sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenkassen darin einig, dass Ärzte künftig nur noch „bergab“ – also in ärmere Kieze – umziehen dürfen.

Dafür soll der Zulassungsausschuss von KV und Kassen verbindlich sorgen. „Wir haben im gemeinsamen Landesgremium Tempo gemacht und unsere erweiterten Möglichkeiten für eine ortsnahe Steuerung der Ärzteversorgung gut genutzt“, freut sich Czaja. Bei berlinweit 6.000 Praxen und 9.000 niedergelassenen Ärzten seien 158 gewechselte Arztsitze vielleicht nicht viel – doch jährlich würden nur 200 bis 300 Praxen frei; und gar nur 60 bis 80 Ärzte zögen aus eigenem Antrieb um. Dabei bevorzugen sie meistens die besser betuchten Bezirke und lassen sich etwa im Osten der Stadt oder Neukölln weniger gern nieder.

Die neu vereinbarte Sozialregelung schiebt solcher Niederlassungsfreiheit nun einen Riegel vor. Denn erstmals in Deutschland überhaupt werden in Berlin Sozialkriterien für Zulassung und Verteilung von Arztpraxen herangezogen. Demografie, Bildungsgrad, Arbeitslosenquote, Krankenstand sind wichtige Indikatoren für soziale Struktur und Praxisdichte. Hoffnung für Treptow-Köpenick und Lichtenberg, aber auch für Neukölln und Reinickendorf – in vielen Arztdisziplinen typische „bergab“-Bezirke. Auch sie sollen künftig von der Neuregelung profitieren. Hinsichtlich der Psychotherapeuten hat es Neukölln bereits und konnte seit 2013 sechs dazu gewinnen. Indessen „verlor“ Charlottenburg-Wilmersdorf, einer der am besten versorgten Bezirke, 19 Psychotherapeuten, die in schlechter versorgte Kieze gingen.

Verstärkte Klagen

Gewiss, die Kuh ist noch nicht vom Eis. „Aber wir haben die unterschiedlichen Entwicklungen gestoppt und werden dies energisch gemeinsam mit KV und Kassen fortsetzen“, versichert Czaja. Geprüft werde, künftig auch Fachärzte nach Sozialindikatoren zu verteilen. Ein offenes Problem ist bei allem allerdings, wie die Ärzte die Anwendung von Sozialindikatoren sehen und möglicherweise verstärkt gegen die Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit klagen.

Jürgen Zweigert, Bild: imago/Jürgen Ritter