Laut dem Bundesverbands Housing First sind rund 50.000 Menschen in Deutschland obdachlos (Symbolbild).
Laut dem Bundesverbands Housing First sind rund 50.000 Menschen in Deutschland obdachlos (Symbolbild). Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin (dpa) – 1.500 obdachlose Menschen haben in Deutschland in den vergangenen zehn Jahre mithilfe von Housing-First-Projekten eine Wohnung gefunden. Das sagte die Geschäftsführerin des Bundesverbands Housing First, Julia von Lindern, der Deutschen Presse-Agentur. 

Bei Housing First wird Obdachlosen ohne große Vorbedingungen eine dauerhafte Unterkunft zur Verfügung gestellt. Im Anschluss werden die Menschen pädagogisch und psychologisch begleitet. Die Idee ist, dass die Menschen erst eine sichere Bleibe bekommen und dann alle weiteren Probleme angepackt werden. In 90 Prozent der Fälle blieben die Menschen langfristig in ihren Wohnungen, sagte von Lindern.


Rund 50.000 Menschen leben auf der Straße

In Deutschland gibt es ihren Angaben zufolge 50 Housing-First-Projekte, die Wohnungen dezentral über das gesamte Stadtbild beschaffen. Der Bedarf sei deutlich höher. In Deutschland lebten rund 50.000 Menschen auf der Straße. Um ein größeres und stabiles Angebot zu schaffen, forderte sie eine gesetzlich gesicherte Finanzierung. Das soll ermöglichen, dass die Finanzierung nicht von der aktuellen Haushaltslage abhängt und die Träger mehr Sicherheit haben.

Diese Woche findet in Berlin die Europäische Housing-First-Konferenz statt, an der Expertinnen und Experten aus mehr als 20 Ländern teilnehmen. Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden.

50 Angebote in Deutschland

In Deutschland gibt es in fast jedem Bundesland Housing-First-Wohnungen, vor allem in Großstädten wie Düsseldorf, Köln, Berlin, Leipzig, Kassel, Freiburg oder Hamburg. Nur aus Thüringen und Sachsen-Anhalt seien ihr keine Angebote bekannt, berichtete von Lindern. Im europaweiten Vergleich habe Deutschland das Konzept relativ spät übernommen. Viele Angebote seien noch im Erprobungsstatus. 

«Die Menschen trennen ihren Müll besonders gründlich»

Die Wohnungssuche sei eine der größten Herausforderungen. «Es braucht zu Beginn viel Überzeugungsarbeit bei den Vermietenden.» Oft gebe es stereotype Vorurteile, dass jemand «Ungeduschtes mit einer Flasche Bier in der Hand und einem Hund» einziehe. Dabei geben sich die Housing-First-Mieter ihren Angaben zufolge oft sogar besonders viel Mühe. «Oftmals erleben wir eher eine Überanpassung. Die Menschen trennen ihren Müll beispielsweise besonders gründlich, weil sie wissen, dass sie unter einer gewissen sozialen Kontrolle stehen.»

Der US-amerikanische Psychologe Sam Tsemberis, der das Konzept in den 1990er Jahren in New York entwickelte, sieht Deutschland auf einem guten Weg. «Was mich frustriert, ist, dass es immer noch Obdachlosigkeit gibt, obwohl wir Programme haben, die sie beenden könnten.» Im Verhältnis zu einem gesamten kommunalen oder nationalen Haushalt sei die Beendigung der Obdachlosigkeit eine kleine und kluge Investition, die die Lebensqualität aller verbessere. «Die Beendigung der Obdachlosigkeit ist eine Frage der Werte; was benötigt wird, ist der politische Wille, ein gesellschaftliches Engagement und die notwendigen Ressourcen.»