Ein neues Denkmal erinnert in Strausberg an die Todesopfer rechter Gewalt -  und an Hans-Georg Jakobson. Er wurde 1993 in Strausberg aus einer S-Bahn gestoßen.
Ein neues Denkmal erinnert in Strausberg an die Todesopfer rechter Gewalt - und an Hans-Georg Jakobson. Er wurde 1993 in Strausberg aus einer S-Bahn gestoßen. Foto: Patrick Pleul/dpa

Strausberg/Potsdam/Berlin (dpa) – Der Angolaner Amadeu Antonio gilt als einer der ersten bekannten Todesopfer rechter Gewalt in den 90er Jahren. Schauplatz war Eberswalde im Nordosten Brandenburgs. Das brutale Verbrechen von Skinheads ist bundesweit in Erinnerung – anders der Fall des Wohnungslosen Hans-Georg Jakobson aus Strausberg. Wie Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt berichten, wurde der 35-Jährige am 28. Juli 1993 von Neonazis aus einer fahrenden S-Bahn geworfen. Er stirbt später im Krankenhaus. 

31 Jahre danach bekommt Jakobson nun ein Denkmal am S-Bahnhof der 28 000-Einwohner-Stadt Strausberg im Kreis Märkisch-Oderland, in dem heute laut Verfassungsschutz eine rechtsextremistische Szene aktiv ist und es Treffpunkte für Veranstaltungen gibt. «Es ist eine Mahnung für die Zukunft», sagt Peps Gutsche, ehrenamtliches Mitglied in der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Märkisch-Oderland. 

Bundesweit sind Sicherheitsbehörden und Organisationen gegen rechte Gewalt in Sorge: Bundesweit nahm 2023 die Zahl rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten zu. 

Erinnerung an die «Baseballschlägerjahre» 

Das Verbrechen an Jakobson in Strausberg reihe sich ein in die massive Straßengewalt der sogenannten Baseballschlägerjahre der 90er Jahre, schildert die Amadeu Antonio-Stiftung. Staatlich anerkannt ist er als Todesopfer rechter Gewalt offiziell allerdings nicht. 

In den Nachwendejahren eskalierte besonders in Ostdeutschland rechte Gewalt. In Eberswalde hatten die Täter mit Baseballschlägern auf Amadeu Antonio eingeprügelt. Eine Gedenktafel erinnert an ihn. 

Die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda und an anderen Orten machten Schlagzeilen. Aber nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Punks, Wohnungslose oder Menschen mit Behinderung bekamen rassistischen Hass zu spüren. Auch in der Uckermark oder in Cottbus – heute noch eine Hochburg der rechten Szene – häuften sich in den 90er Jahren rechte Gewalttaten. 

Brutale Angriffe und Razzien gegen rechtsextremistische Partei

Besteht die Gefahr, dass die Baseballschlägerjahre zurückkommen? Die Haltungen dazu sind verschieden. Beispiele auch brutaler rechter Gewalt gibt es, wenngleich damals viele Todesopfer zu beklagen waren. Opferberatungsstellen jedenfalls sind alarmiert und berichten von mehr rassistisch motivierten Fällen. 

Am 18. Juli waren bei Razzien gegen die rechtsextremistische Partei Dritter Weg in Berlin, Brandenburg und Sachsen neun mutmaßliche Gewalttäter festgenommen worden. Sie sollen an brutalen Angriffen auf politische Gegner im Januar und Juli beteiligt gewesen sein – ein Tatort war der Berliner S-Bahnhof Ostkreuz. Anfang Mai hatten vier junge Männer – mindestens einer von ihnen aus dem rechten Spektrum – den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke niedergeschlagen – er musste operiert werden. Andernorts sammeln sich Neonazis in Kampfsportgruppen. 

Beratungsstellen beklagen Klima der Angst 

«Die Normalisierung von Rassismus und Antisemitismus führt zu einer dramatischen Ausweitung von Gefahrenzonen und zu einem Klima von Angst und Unsicherheit für Betroffene», schreibt der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Mit Blick auf die Baseballschlägerjahre der 90er Jahre sagt die Leiterin der Verbands-Geschäftsstelle, Heike Kleffner, heute zeige sich die gleiche Brutalität. «Es werden Flüchtlingsheime angegriffen und die Taten werden gefeiert.» Teils werde auch der Tod von Menschen in Kauf genommen.

Es müssten dringend Lehren aus den Baseballschlägerjahren gezogen werden. Eine effektive und rasche Strafverfolgung, sichtbare Unterstützung für die Betroffenen und Protest der Zivilgesellschaft seien nötig, sagt Kleffner, die kritisiert: Für schwerste Straftaten seien Täter in den 90er Jahren nahezu straffrei davongekommen. 

Der Verband berichtete von 2589 politisch rechts motivierten Angriffen in elf Bundesländern im vergangenen Jahr – 3384 Menschen waren demnach betroffen. Das weitaus häufigste Tatmotiv sei Rassismus mit 1446 Fällen gewesen. Die Beratungsstelle Opferperspektive verzeichnet für 2023 einen massiven Anstieg auch in Brandenburg: Insgesamt gab es demnach 242 rechtsmotivierte Angriffe. 

Opfer-Berater: Täter von damals geben Gedankengut weiter 

«Die Baseballschlägerjahre kommen nicht zurück», meint Hannes Püschel, Berater im Verein Opferperspektive. «Doch wir sehen die Täter von damals, die jetzt wieder aktiv sind.» Sie gäben das Gedankengut auch an ihre Kinder weiter. Zudem schwinde als Folge des Erstarkens rechter Kräfte die Bereitschaft in der Lokalpolitik – «wenn es in Kommunen 30 Prozent AfD-Zustimmung gibt» -, Migranten und Opfer rechter Gewalt zu helfen, so die Überzeugung des Beraters für Opfer rechter Gewalt.

In allen fünf ostdeutschen Flächenländern ist die AfD stärkste Kraft bei der Europawahl geworden, auch bei den Kommunalwahlen lag sie vielerorts vorn. Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an – laut Umfragen könnte die AfD, stärkste Kraft werden. 

Gewalt als Freizeitgestaltung

Zahlreiche Bündnisse in Brandenburg wollen gegen eine Normalisierung rechtsextremer Ideologien protestieren – an diesem Sonntag (28.07., 10.00 Uhr) auch mit einer Gedenkkundgebung und der Einweihung des Denkmals für Hans-Georg Jakobson in Strausberg. Drei Täter, die wegen Mordes angeklagt waren und zu Jugendstrafen verurteilt wurden, schlugen und traten ihn. «Aus Frust darüber, keine Beute gemacht zu haben, haben wir ihn aus dem Zug geworfen», hatte ein Angeklagter im Prozess 1994 ausgesagt. 

In der Urteilsbegründung hieß es: «Die Angeklagten haben Gewalt zum Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung gemacht.» Aus ihrem neonazistischen Weltbild machten sie im Prozess keinen Hehl, schreibt die Amadeu Antonio Stiftung zu dem Prozess vor 30 Jahren. «Gleichzeitig wurde jedoch ausgeblendet, dass die Abwertung von wohnungslosen und arbeitslosen Menschen als vermeintlich „minderwertig“ Teil der nationalsozialistischen und rechtsextremen Ideologie ist.»