Geschichten aus dem Alltag der Bewohner und Infos zur DDR-Architektur: Ein neues Buch erzählt von den sozialistischen Prachtbauten in Friedrichshain. Am 20. Oktober wird es in der Bezirkszentralbibliothek an der Frankfurter Allee vorgestellt.
Sie sind die Kathedralen des Berliner Ostens: Kolossal ragen die sozialistischen Prachtbauten entlang der Meile zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor empor. Nicht jeder mag sie. Viele meinen, alles über sie zu wissen. Tatsächlich stecken die endlosen Wohnblocks an Frankfurter Allee und Karl-Marx-Allee, entstanden nach dem Vorbild sowjetischer Prestigegebäude der Stalin-Ära, voller Geschichten, die weithin unbekannt sind.
Erzählt werden sie in dem Buch „Mein Stalinbau“, das kürzlich im be.bra Verlag erschienen ist. Die Autorin Michaela Nowotnick und der Fotograf Thorsten Klapsch trugen Porträts von Bewohnern zusammen, die dem ersten Wohnungsbau-Großprojekt in der einstigen Hauptstadt der DDR auf verschiedenste Weise verbunden sind.
Vom Leerstand zur Toplage
Die Geschichten spiegeln den Alltag der Menschen, aber auch die wechselhafte Geschichte der in den 50er-Jahren errichteten „Arbeiterpaläste“ in Friedrichshain wider: vom begehrten, weil anfangs als fortschrittlich angesehenen Wohnraum zu DDR-Zeiten über den mit dem Bedeutungsverlust verbundenen Leerstand nach dem Mauerfall bis hin zur erneuten Toplage von heute. Vom einstigen Zusammenhalt, der späteren Auflösung von nachbarschaftlichen Beziehungen und neuen Formen von Gemeinschaft in der Gegenwart.
„Uns ging es um eine Kulturgeschichte von unten“, erzählt Nowotnick. „Nicht nur Gebäude, sondern auch die Menschen, die darin wohnen, prägen eine Stadtlandschaft.“ Der Titel des Buches ist für sie und Klapsch mehr als nur eine Überschrift: Seit vielen Jahren sind sie in einem der „Stalinbauten“ an der Frankfurter Allee zu Hause.
Die Bewohner rücken zusammen
Beide sind gewissermaßen ein Teil der Geschichte(n), die sie mit Worten und Bildern erzählen. Als ihr Haus 2009 verkauft wurde, rückten die Bewohner zusammen, eine Mieterinitiative entstand. „Damals gab es noch viele Erstmieter“, so Nowotnick. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin stieß auf viele Anekdoten und fand, dass sie eines Tages ein breiteres Publikum finden sollten.
Zwölf Jahre später ist es so weit. In dem Buch finden sich Erinnerungen und Erfahrungen von 17 Wohnungsparteien: Darunter sind betagte Bewohner aus frühen DDR-Zeiten. Einer davon ist Wolfgang Grabowski. Der frühere Botschafter der DDR in Jordanien startete damals die besagte Mieterinitiative. Hinzu kommen Mieter oder Wohnungskäufer, die sich in jüngerer Zeit auf diese historisch aufgeladene Wohngehend eingelassen haben.
Eine besondere Heimat
„Ihnen allen ist bewusst, dass sie ihre Heimat an einem besonderen Ort gefunden haben“, resümiert Nowotnick, die 1980 in Brandenburg geboren wurde. „Jeder von ihnen hat einen Bezug zu dem Ensemble, nicht nur zu seiner Wohnung.“
Nicht zuletzt lebt das Buch von den eindringlichen Fotos. Sie unterstreichen das Individuelle der Menschen und ihrer Wohnungen, schaffen aber auch ein Bewusstsein für die besondere Atmosphäre der „Stalinbauten“. Sie zeugen von der Vertrautheit, die während der Gespräche mit Nowotnick und Klapsch am Kaffeetisch herrschte.
Premiere am 20. Oktober
Klapsch, 1966 in Darmstadt geboren, kam bei all dem seine Expertise für die Architektur der Ost-Moderne zugute. Laut Nowotnick war er der letzte Fotograf, der den Palast der Republik vor seinem Abriss im Jahr 2006 dokumentierte.
Am 20. Oktober, um 19 Uhr, wird das Buch „Mein Stalinbau“ in der Bezirkszentralbibliothek, Frankfurter Allee 14 A. im Rahmen einer Premiere vorgestellt. Der Eintritt ist frei. Interessierte werden gebeten, sich bis zum 19. Oktober per E-Mail anzumelden (Mailadresse siehe unten). Es gilt die 3G-Regel. Weitere Infos zum Buch gibt es hier.
stadtbibliothek@ba-fk.berlin.de
Text: Nils Michaelis. Bild: IMAGO/Achille Abboud