Wie weit muss Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache gehen?
Berlin diskutiert darüber, ob und wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in der Sprache nach vorne gebracht werden muss. Die Berliner Verwaltung schreibt in ihrer Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) geschlechtergerechte Sprache verbindlich fest. Ein Leitfaden sieht unter anderem vor, geschlechtsneutrale Pluralformen („Schülerinnen und Schüler“) und Personenbezeichnungen („Lehrenden“) zu verwenden. Das geht manchen nicht weit genug: Sie bestehen auf das „Gender-Sternchen“ (Student*innen) oder ein „Gender-I“ (BürgerInnen), um die einst auf Männer zugeschnittenen Standards an die heutige Zeit anzupassen.
Andere sehen dabei verbissene Pedanterie am Werk. Im Abgeordnetenhaus sorgt ein AfD-Antrag für Empörung, der fordert, die gendergerechte Sprache abzuschaffen und „zur Vernunft zurückzukehren“.
Aufgeheizte Debatte
Angesichts dieser aufgeheizten Debatte mutet ein Umstand besonders skurril an: Der Louise-Schroeder-Platz in Wedding erinnert an eine der bedeutendsten Frauen der Berliner Politik: Die 1887 geborene Sozialdemokratin war nach dem Zweiten Weltkrieg Amtierende Oberbürgermeisterin und Bürgermeisterin von West-Berlin. Auch als Abgeordnete in Bundestag und Europarat wirkte sie am Wiederaufbau der Demokratie mit. 1998 wurde die Louise-Schroeder-Medaille gestiftet, die an die Namensgeberin erinnert und mit der Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit sowie die Gleichstellung von Frau und Mann verdient gemacht haben. Der Gedenkstein auf besagtem Platz trägt allerdings nicht die Inschrift „Bürgermeisterin“, sondern „Bürgermeister“. Das ist für viele ein Affront, gerade vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte der 1957 verstorbenen Louise Schroeder.
Die Grünen-Abgeordnete Anja Kofbinger gehört dem Kuratorium zur Vergabe jener Medaille an. Auf den Hinweis zur Inschrift reagiert sie überrascht. „Ich werde Kontakt zu meinen Kolleginnen aufnehmen und darüber beraten, was zu tun ist.“ Der Antrag der AfD sei „Bullshit“. Der Louise-Schroeder-Platz liegt im Wahlkreis der Abgeordneten Bruni Wildenhain-Lauterbach. „Bei Amtstiteln wurde früher kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht“, sagt sie. „Der Gedenkstein zeigt, welche Fortschritte wir seit seiner Errichtung bei der Gleichberechtigung gemacht haben.“ Daher müsse die Inschrift nicht geändert werden. Vom „Gender-I“ hält die in der „Arbeitsgemeinschaft soziakdemokratischer Frauen“ Aktive nichts: „Sprache muss übersichtlich bleiben.“ Die GGO genüge völlig.
Aufmerksamkeit wächst
Auch Kerstin Drobick, Gleichstellungsbeaufragte im Bezirk Mitte, gibt sich gelassen: „Heute würden die zuständigen Menschen ,Bürgermeisterin’ auf den Gedenkstein schreiben. Manche Dinge erklären sich aus der Historie.“ Die geschlechtergerechte Sprache sieht sie auf gutem Weg: „Die GGO gilt. Und damit auch die Verpflichtung geschlechtergerecht zu schreiben. Wie die Berlinerinnen und Berliner damit umgehen, bleibt ihnen überlassen.“ Feststellbar sei jedoch, dass es vielen Menschen wichtig ist, in der Sprache Personen und Personengruppen nicht zu diskriminieren. „Die Sensibilität für das Thema wächst.“
Datum: 5. April 2019. Text: Nils Michaelis. Bild: Katja Reichgardt