Bezirksbürgermeisterin verweist auf Kultur- und Bildungsangebote / SPD fordert neue Wege

Kurz vor den Sommerferien des vergangenen Jahres war bekannt geworden, dass ein 15-jähriger Schüler an der John-F.-Kennedy-Schule über längere Zeit antisemitisch bedroht, gedemütigt und drangsaliert wurde. Der Skandal reihte sich in eine Serie von judenfeindlichen Übergriffen in Berlin und Deutschland ein. Viele fragten sich: Tun Politik und Behörden genug gegen antisemitische Einstellungen?

Biografischer Zugang

Auf Landesebene wurde die bundesweit erste Antisemitismusbeauftragte bei der Generalstaatsanwaltschaft eingerichtet. Doch was unternimmt der Bezirk? In einer Anfrage der SPD-Fraktion verweist Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski auf eine Vielzahl von Kultur- und Bildungsangeboten sowie öffentliche Aktionen. Etwa auf die Ausstellung „L´Chaim – Auf das Leben! Die Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin entdecken“ in der Jugendfreizeiteinrichtung Düppel. Das Projekt der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus porträtiert den Alltag, die Gedanken und Gefühle von Juden, die Berlin heute als ihre Heimat bezeichnen.

„Migrationserfahrungen, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit, die Familiengeschichte und Herkunft sind Themen, die einen biografischen Zugang zum Judentum ermöglichen und auch Anknüpfungspunkte an das eigene Leben der Besucher“, so die CDU-Politikerin. Der Fachbereich Kultur betreut die regionalhistorischen Informationsstelen und war an der Realisierung der Spiegelwand auf dem Hermann-Ehlers-Platz (siehe Foto) beteiligt. Diese erinnert an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Steglitz. Außerdem erarbeitet die Verwaltungseinheit Ausstellungen und Publikationen zu jüdischem Leben und der Verfolgung von Juden im historischen Kontext.

Öffentlichkeit sensibilisieren

Die SPD-Bezirksverordnete Ellinor Trenczek ist mit der Beantwortung ihrer Anfrage unzufrieden. „Die genannten Veranstaltungen sind auf spezielle Einrichtungen begrenzt und erreichen nur einen kleinen Kreis“, sagt sie. Es genüge nicht, einmal im Jahr öffentlich der ermordeten Juden zu gedenken. „Das Bezirksamt sollte enger mit der Initiative ,Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage’ zusammenarbeiten und überlegen, wie sich in der Öffentlichkeit für das Thema Antisemitismus sensibilisieren lässt.“ Außerdem sollte die Verwaltung den Kontakt zu jüdischen Einrichtungen, etwa zur Jüdischen Gemeinde Berlin, intensivieren.

„Es ist merkwürdig, dass in der Antwort nichts über künftig geplante Aktivitäten gesagt wird“, so Trenczek. Der Handlungsbedarf sei riesig: „An vielen Schulen gilt ,Jude’ als Schimpfwort, es kommt immer wieder zu Mobbing und Schmierereien. Wir müssen uns dieses Themas annehmen, gerade in diesen Zeiten.“ Anlass der Anfrage war eine Umfrage zu antisemitischen Erfahrungen in der EU durch die EU-Grundrechteagentur FRAU. Demnach nehme die Bundesrepublik bei der Häufigkeit derartiger Vorfälle eine „traurige Führungsposition“ ein, sagt Trenczek.

Im Bezirk wurden nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) im ersten Halbjahr 2018 acht judenfeindliche Übergriffe gezählt. Im Vorjahreszeitraum waren es fünf. In ganz Berlin waren es 527 (2017: 514). Gemeldet wurden meist Angriffe, gezielte Sachbeschädigungen, Bedrohungen, verletzendes Verhalten und Massenzuschriften.

Datum: 23. Januar 2018. Text: Nils Michaelis. Bild: Muns/WikimediaCommons