Sonntagsöffnung: Bezirksamt setzt auf Streifen und Bußgelder /
Petition fordert Ausnahmeregelungen
Stirbt mit den „Spätis“ das lockere Leben, das Berlin für viele so anziehend macht? Eine Online-Petition fordert ein freies Verkaufsrecht für sämtliche rund 1.000 Spätverkaufsstellen, um deren Existenz zu sichern.
Breites Sortiment
Mehr als 1.000 Spätis sorgen in Berlin dafür, dass Berlinern und Touristen die Dinge des täglichen Bedarfs nicht ausgehen. Viele von ihnen auch sonntags. Das dürften sie eigentlich nicht, denn sie verstoßen damit gegen das seit 2010 geltende neue Berliner Ladenöffnungsgesetz. Danach dürfen sonntags zwischen sieben und 16 Uhr nur Läden öffnen, die Blumen, Zeitungen, Backwaren und Milchprodukte anbieten. Das „Späti“-Sortiment umfasst aber deutlich mehr. Wurde das Gesetz lange Zeit eher lax gehandhabt, hat sich der Wind in letzter Zeit gedreht. Zum Beispiel in Neukölln: Dort überwachen Streifen des Ordnungsamtes die Einhaltung der Schließzeit. Die Konkurrenz zwischen den „Spätis“ ist groß, viele zeigen sich gegenseitig an.
Die Petition fordert, dass alle Spätis mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichgestellt werden und somit ein freies Verkaufsrecht ihrer Ware an Sonn- und Feiertagen erhalten. Jahrzehntelang hätten die Läden, die nach der Wende von Prenzlauer Berg aus ganz Berlin erobert haben, immens zur Kiez-Kultur beigetragen. Sie seien ein fester Ankerpunkt in jedem Kiez und eine willkommene Anlaufstelle für Einheimische, Zugezogene und Touristen. Bis Redaktionsschluss hatten rund 38.000 Unterstützer die Petition unterschieben.Auch die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus will den „Spätis“ die legale Sonntagsöffnung ermöglichen. Allerdings scheiterte im März ihr Antrag auf eine dahin gehende Ergänzung des Ladenöffnungsgesetzes.
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[acc_item title=”Reinickendorf”]
Keine Ausnahmen
In Reinickendorf gibt es weniger „Spätis“ als etwa in Pankow oder der Berliner Innenstadt. Auch hier werden Verstöße moniert und in hartnäckigen Fällen Bußgeldverfahren eingeleitet; doch dies wird statistisch nicht gesondert erfasst. Grundsätzlich gelte das Ladenöffnungsgesetz für alle, sagt Bezirksstadtrat Martin Lambert (CDU). „Würden wir Ausnahmen zulassen, wäre das ein klarer Wettbewerbsnachteil für all jene Verkaufsstellen, die sich an das geltende Recht halten und redlich öffnen“, meint er. Genau aus diesem Grund werden die „schwarzen Schafe“ auch viel häufiger von Konkurrenten als von Nachbarn angeschwärzt. Ob eine weitere Sonn- und Feiertagsöffnung über die bereits existierenden Möglichkeiten hinaus wirklich notwendig ist, sollte berlinweit diskutiert werden. „Auch die Angestellten oder Betreiber der Spätis müssen freie Tage zur Erholung haben“, sagt Lambert.
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[acc_item title=”Pankow”]
Privater Feldzug
Allein in Pankow gibt es mehr als 400 Spätverkaufsstellen; die meisten davon im Prenzlauer Berg. Kiezkultur pur, findet Bezirkstadtsrat Torsten Kühne (CDU) und setzte sich bereits 2012 dafür ein, dass die inhabergeführten „Spätis“ sonn- und feiertags öffnen dürfen. Medienbekannt aber wurde der private Feldzug eines Dachdeckers, der „die Dinge selbst in die Hand nehmen wollte“, sich aufs Rad schwang und jeden Kioskbetreiber anzeigte, der sonntags öffnete.
Von 2010 bis 2014 gab es rund 300 Verfahren; rund 70.000 Euro Bußgelder wurden eingenommen. Im Vorjahr gab es keine der personal- und zeitaufwändigen Kontrollen, folglich auch kein Bußgeld. „Lebenswirklichkeit und Rechtslage klaffen weit auseinander. Es obliegt den Ordnungsbehörden, diesen Spagat mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl zu bewältigen“, sagt Kühne.
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[acc_item title=”Treptow-Köpenick”]
Änderung eingrenzen
Ordnungsstadtrat Michael Grunst (Die Linke), kann sich die Sonntagsöffnung der kleinen Shops durchaus vorstellen und setzt sich für eine Gesetzesänderung ein. „Mini-Unternehmen, die die Existenz vieler Familien sichern. Wir sollten das nicht so eng sehen und Ausnahmen zulassen“, sagt er. Voraussetzung sei allerdings, dass sonn- und feiertags keine weiteren Arbeiternehmer beschäftigt würden, denn das Gesetz sei in erster Linie ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Im Bezirk wurden 2010 bis 2015 lediglich 20 „Spätis“ kontrolliert; knapp 14.000 Euro Bußgelder kassierte die Behörde in diesem Zeitraum.
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Jürgen Zweigert/nm / Bilder: Christina Praus