Rechtsextremismus: Neukölln bei Gewalttaten weit vorne / Stadtrat: Registerstelle stärken.
Neukölln, Ende Dezember: Gegen Abend wird das Fenster einer Wohnung, in der sich zwei Erwachsene und zwei Kinder aufhalten, mit einer mit Teerfarbe gefüllten Flasche eingeworfen. Es wird niemand verletzt. Wenige Tage davor, im Schillerkiez: Mitten in der Nacht werfen unbekannte Täter ein Fenster ein, in der Wohnung landet ein Glas mit Farbe.
Beide Überfälle schreibt die Opferberatungsstelle und Bildungsinitiative Reachout Rechtsextremisten und Neonazis zu. „Extrem rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten finden in Berlin täglich statt“, so Reachout. Demnach wurden 2016 bei 380 Übergriffen mindestens 553 Menschen verletzt und bedroht, das waren rund 20 Prozent mehr als 2015. Rassismus sei das häufigste Motiv. Im Bezirk Mitte gab es mit 68 die meisten Angriffe. In Neukölln waren es 38 Angriffe, darunter massive Einschüchterungsversuche und Bedrohungen gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Geflüchtete engagieren, meist in deren unmittelbarem Wohnumfeld. „Diese Form der Angriffe ist für die Betroffenen besonders bedrohlich, weil ihnen ihre sicheren und vertrauten Rückzugsmöglichkeiten genommen werden“, sagt Helga Seyb von Reachout.
Brennende Autos
Seit Ende vergangenen Jahres erschüttert eine Welle von Brandanschlägen auf Autos den Bezirk. Unter anderem traf es die SPD-Bezirksverordneten Mirjam Blumental und Peter Scharmberg sowie Claudia und Christian von Gélieu, die sich in der Galerie Olga Benario in Rudow engagieren. Auf die Rudower Buchhandlung Leporello flogen Steine, nachdem dort eine AfD-kritische Veranstaltung stattgefunden hatte. Später brannte der Wagen des Inhabers. Die Polizei geht von einer politisch motivierten Anschlagsserie aus. Beim Landeskriminalamt wurde im Februar eine fünfköpfige Sonderkommission RESIN gegründet. Das Kürzel steht für „Rechtsextremistische Straftaten in Neukölln“. „Es ist gut, dass die Polizei jetzt genauer hinschaut und den Betroffenen als Ansprechpartner dient“, sagt Jochen Biedermann (Grüne), Bezirksstadtrat und Beauftragter des Bezirks für das Thema Rechtsextremismus. „Wichtig ist aber auch, dass diese Menschen persönliche Solidarität erfahren.“ Der Bezirk arbeite daran, sich noch enger mit Bündnissen zu vernetzen, die in den Kiezen oder auf Bezirksebene für Toleranz kämpfen. Die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken nahmen die Anschlagsserie zum Anlass, einen eigenen Bericht des Bezirks über die Aktivitäten von Neonazis und Rechtspopulisten zu fordern. Biedermann setzt darauf, die vom Senat finanzierte Registerstelle, die rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle dokumentiert und Netzwerkarbeit betreibt, besser aufzustellen. Derzeit wird sie an zehn Stunden pro Woche von einer Mitarbeiterin betreut, Biedermann fordert 20 Stunden.
Nils Michaelis, Bild: imago/Peter Homann