Ntailan Lolkoki stammt aus Kenia, wurden als Mädchen beschnitten. In Berlin erlebte sie Dank Rückoperation eine Art Wiedergeburt.
Ihr Lachen ist ansteckend. Und es ist nicht nur das, was viele Menschen, die es mit Ntailan Lolkoki zu tun bekommen, in ihren Bann zieht. Es ist diese Mischung aus Anmut und Würde, die sie so unverwechselbar macht. Vor allem aber sind es ihre Lebenserfahrungen, die sie ausstrahlt. Ein Leben, das unter normalen Umständen für drei Menschen und mehr gereicht hätte. Doch die normalen Umstände endeten, als Ntailans Mutter mit ihrer zwölfjährigen Tochter ins nahe Krankenhaus ging, um sie beschneiden, um sie verstümmeln zu lassen. Mit diesem schlimmen Eingriff begann für die Kenianerin eine Lebensodyssee, die jetzt nachzulesen ist in ihren Erinnerungen „Flügel für den Schmetterling“ (Knaur).
Echte Chance
Titel und Untertitel des Buches – „Der Tag, an dem mein Leben neu begann“ – weisen daraufhin, dass Ntailan Lolkoki eine echte Chance bekam, ihrem Schicksal eine positive Wendung zu geben. Möglich gemacht wurde dies durch das Desert Flower Center am Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede (DFC). Seit September 2013 hat das Team um Professor Roland Scherer, der zugleich auch Chef des Zentrums für Darm- und Beckenbodenchirurgie ist, mehr als 200 von Genitalverstümmelung (FGM) betroffene Frauen erfolgreich behandelt.
Wiederherstellende Operationen wie im Falle Ntailan Lolkokis, mit denen sich Klitoris und Schamlippen rekonstruieren lassen, finden in der Zehlendorfer Klinik seit Februar 2014 statt. Doch FGM verursacht bei den Opfern zugleich auch schwere psychische Traumata, die allein durch eine Rückoperation nicht zu heilen sind. Auch deshalb wird im Desert Flower Center sehr viel Wert auf eine qualifizierte psychosoziale Betreuung gelegt. „In Sprechstunden beziehungsweise in unserer Selbsthilfegruppe sprechen die Frauen häufig das erste Mal über ihre Erfahrungen und das Leid, das ihnen angetan wurde“, sagt Oberärztin Dr. Cornelia Strunz, die auch für die ärztliche Koordinierung im DFC zuständig ist.
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Gesellschaftliche Isolation
Alle elf Sekunden wird ein Mädchen durch die Beschneidung der Genitalien verstümmelt. Jeden Tag teilen 8.000 Leidensgenossinnen dieses Schicksal. Weltweit sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 150 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten. Allein in Deutschland leben circa 50.000 FGM-Opfer. Die Betroffenen sind nicht nur zutiefst traumatisiert, das Erlebte beeinflusst den Rest ihres Lebens in erheblicher Form.
Entzündungen im Genitalbereich, Inkontinenz, Fistelprobleme, daraus folgend die gesellschaftliche Isolation, ein überwältigendes Schamgefühl oder sogar der Tod sind nicht selten die Konsequenzen. Laut WHO sterben zehn Prozent der Frauen an den akuten Konsequenzen (Blutvergiftung, Blutverlust) von FGM, 25 Prozent erliegen den langfristigen Folgen (unter anderem Infektionen durch HIV, Hepatitis und Geburtskomplikationen).
Schreckliches Nichts
„Ich habe erst sehr viel später begriffen, dass ich eigentlich eine Überlebende bin“, erzählt Ntailan Lolkoki. Und im Buch heißt es: „Der Schmerz war schrecklich gewesen, doch schrecklicher war das Nichts, das ihm folgte.“ Sie schildert ihr Leben seit der Verstümmelung als ziellose Suche nach dem eigenen Ich, das sich partout nicht finden lassen wollte.
Das Schlimmste: So sehr sich Ntailan auch mühte – sie war nicht in der Lage, zu lieben und zu leben. Immer wieder scheiterte sie mit den Versuchen, sich selbst zu entkommen – sei es in der Ehe mit einem Engländer, als Model in Deutschland, als Sozialarbeiterin in Kenia. Das Desert Flower Center Waldfriede war wie der berühmte rettende Strohhalm. Mit ihrem Buch möchte Ntailan Lolkoki helfen, dass ihn auch andere betroffene Frauen ergreifen können.
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Information
Das Desert Flower Center Waldfriede bietet ein weltweit einzigartiges, ganzheitliches Behandlungskonzept mit einem engagierten Team aus erfahrenen Chirurgen, Psychologen, sozialen und seelsorgerischen Beratern. Schirmherrin ist Autorin Waris Dirie („Die Wüstenblume“), die sich mit ihrer Stiftung gegen Beschneidung engagiert. Wer helfen möchte – hier das Spendenkonto:
Förderverein Krankenhaus Waldfriede
Stichwort: Desert Flower Center
IBAN: DE24 1203 0000 1020 1450 15
BIC: BYLADEM1001
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Ulf Teichert, Bilder: Stefan Bartylla, Desert Flower Center Waldfriede, Misereor