Kein neuer Mietvertrag – das Syndikat steht vor dem Aus.
Als die Kiezkneipe „Syndikat“ vor 33 Jahren an der Weisestraße eröffnete, war der Begriff der Gentrifizierung noch nicht einmal erfunden. Selbst in den warmen Monaten roch hier damals alles nach Braunkohle-Asche, die Wohnungen hatten Außentoiletten auf dem Treppenabsatz und alle paar Minuten brachte irgendeine überfliegende Propellermaschine sämtliche Dachziegel der Nachbarschaft zum Klappern. Mit der Eröffnung des Syndikat bekam die Gegend einen völlig neuen Ort für Konzerte, Lesungen, Clubabende und Veranstaltungen. Anarchisch-politischer Anspruch hielt Einzug in einen Kiez, der bis dahin nur Eckkneipen mit Magenbitter-angebot kannte.
Wertvoll geworden
Drei Jahrzehnte später ist alles anders: Das Viertel rund um den Herrfurthplatz wird jetzt Schillerkiez genannt und die Kneipen, die hier neu aufmachen, bekommen allesamt teure italienische Kaffeeautomaten hinter die Tresen platziert. Die Mieten sind in den vergangenen zehn Jahren um bis zu 150 Prozent gestiegen. „Auch uns war klar, dass wir mit der nächsten Vertragsverlängerung wohl eine saftige Mieterhöhung zu erwarten haben“, sagt Christian, der Sprecher der Syndikat-Betreiber. Doch statt der neuen Mietsteigerung gab es die Kündigung. Zum 31. Dezember sollte Schluss sein mit dem Syndikat und der langjährigen Tradition der Soli-Abende, der Kickerturniere und den tollen Konzerten. Begründung und Erklärung: Fehlanzeige. „2015 hatte eine Luxemburger Fonds-Firma das Haus gekauft. Einen Ansprechpartner dort kannten wir nicht“, erzählt Christian, der sich mit seinen Kollegen im Herbst auf den Weg nach Luxemburg machte, um Kontakt zu dem neuen Eigentümer aufzubauen. „An der uns bekannten Adresse gab es nur einen Briefkasten. Sonst nix“, berichtet der 41-Jährige, der seit zwölf Jahren zum Syndikat-Team gehört.
Internet-Recherchen und ein paar Tipps von Fachleuten brachten Erstaunliches zu Tage: 75 weitere Firmen besaßen ihre Briefkästen an der gleichen Adresse und hinter allen Firmen steckte ein und dasselbe Londoner Immobilienunternehmen: Pears Global Real Estate. „Auf deren Homepage fanden wir, dass sie allein in Berlin rund 6.200 Immobilieneinheiten besitzen“, sagt Christian. Der Versuch, mit Mitarbeitern der Berliner Filiale Kontakt aufzunehmen, scheiterte. Selbst Anfragen der Medien wurden dort abgeblockt. Also fuhr man im Dezember nach London, um die Verantwortlichen beim Mutterkonzern unangekündigt aufzusuchen. „Die waren reichlich überrascht“, erzählt Christian.
Immerhin habe man ein Gespräch mit einem verantwortlichen Mitarbeiter bei der Pears Group führen können. „Die kannten unsere Kneipe natürlich nicht und erklärten uns, dass bei den günstigen Berliner Mietpreisen es doch ein Einfaches wäre, sich neue Räume zu suchen“, erzählt der Wirt. Weitere Versuche, Verhandlungen zu starten, scheiterten. „Die Mitarbeiter des Unternehmens dort haben noch nicht einmal einen Begriff davon, was hier wie und warum existiert. Die sind noch nicht einmal gegen uns – für die zählt nur die Rendite“, so Christian.
Ungewisse Zukunft
Anfang Januar sollte nun die Schlüsselübergabe an die Hausverwaltung erfolgen. Doch dazu kam es nicht: Die Syndikat-Kollegen legten Rechtsmittel ein und machten die Angelegenheit zum Prozessfall. „Ohne einen Räumungsbescheid kann uns im Moment nichts passieren. Wir wollen unbedingt hier bleiben“, sagt der Wirt, der jetzt auf weitere Solidarität aus dem Kiez und auch von der Politik auf Bezirks- und Senatsebene hofft. „Das Syndikat war immer so etwas wie ein Leuchtturmprojekt in der Neuköllner Kneipenszene. Es kann doch nicht sein, dass wir hier aus dem Viertel geworfen werden, zu dessen positiver Entwicklung wir eine Menge beigetragen haben“, so Christian.
Datum: 19. Januar 2019, Autor und Bild: Stefan Bartylla