Engagement: Tempelhof-Schöneberg und Neukölln praktizieren erstmals bezirksübergreifende Förderkulisse.

Der „Berliner Bär“ steppt gerade nicht – der Laptopkurs braucht Ruhe und die Line Dancer  sind erst am Nachmittag wieder dran. „Jeder ist willkommen, egal, woher er kommt“, sagt Michaela Fistler, Leiterin des gleichnamigen Senioren-Clubs an der Tempelhofer Holzmannstraße. Jahrelang dümpelte die Freizeitstätte vor sich hin. Nur ein paar hundert Besucher im Monat nutzten ihre spärlichen Angebote. Erst als sie vor knapp zwei Jahren wieder in Regie des Bezirksamtes ging, wurde der Abwärtstrend gestoppt.  „Heute kommen bis zu 1.700 Menschen monatlich“, so Tempelhof-Schönebergs Sozialstadträtin Jutta Kaddatz (CDU). Sie ist stolz auf den Club, der sich mit seinem vielfältigen Programm längst zu einem regen Nachbarschaftstreff für Alt und Jung gemausert hat. In seinen hellen, freundlichen Räumen ist täglich was los. „Und wir canastern nicht nur, sondern tun vieles, was uns fit hält und aktiv teilhaben lässt“, ergänzt Annelies Reucher-Wunnicke. Die 87-Jährige zählt zu den guten Seelen, die den Club ehrenamtlich am Laufen halten.

Wachsende Verdrängung

Was dem „Berliner Bär“ gelungen ist, soll im gesamten Germaniagarten-Kiez greifen. Das Quartier zwischen A 100, Fern- und S-Bahngleisen ist sozial arg benachteiligt: Viele leben von Sozialhilfe, die Arbeitslosigkeit ist hoch, öffentliche Infrastruktur und Anbindung an den ÖPNV sind mäßig. Hinzu kommt, dass die kleinen, größtenteils unsanierten Wohnungen mit ihren preiswerten Mieten zunehmend Immobilienhaie anlocken. Wachsende Verdrängung der überwiegend betagten Mieterschaft sind drohende Alarmsignale, die durchaus gesehen werden: Im Zuge des Stadtumbau-Gebiets „Tempelhofer Feld“ soll das Gebiet mittels baulich-investiver Maßnahmen besser an die entstehende Parklandschaft angebunden werden.

Engagement fördern

Doch das dauert noch. Vorerst wird der Kiez aus dem Landesprogramm „Freiwilliges Engagement in Nachbarschaften“ (FEIN) aufgewertet. Es verknüpft verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und hat die Aktivierung seiner Bewohner zum Ziel. Erstmals geschieht dies in Berlin jetzt auch bezirksübergreifend. „Schließlich endet das Leben im Kiez nicht an der Bezirksgrenze. Wir wollen hier grenzenlos eine gute Nachbarschaft entwickeln und das ehrenamtliche Engagement fördern“, erläutert Jörn Oltmann (Grüne), Stadtentwicklungs-Bezirksrat von Tempelhof-Schöneberg. Sein – ebenfalls „grünes“ – Pendant in Neukölln ist  Jochen Biedermann: „Klar war ich sofort dafür. Wir wollen den Elan des Neuanfangs nutzen und dürfen nicht mehr in Zuständigkeiten denken, sondern in Verantwortung für die ganze Stadt.“

Guter Anfang

So planen und handeln sie jetzt gemeinsam für den „Germaniagarten-Silbersteinstraße-Kiez“, der mit seinen fast 9.000 Bewohnern – fast 4.000 auf der Tempelhofer, gut 5.000 auf der Neuköllner Seite – sozial ganz unterschiedlich geprägt ist. Aus den FEIN-Mitteln fließen in diesem Jahr mehr als 30.000 Euro in die Projekte; darunter ein Kinder-Theater, Nähzirkel für geflüchtete Frauen, Straßenfeste und Elterncafé. Im nächsten Jahr werden es dann für das Gesamtgebiet 60.000 Euro sein. Reichen wird das nicht, um die soziale Situation nachhaltig zu stabilisieren. Nötig dafür wären wohl auch weitere Mittel aus dem Fonds „Soziale Stadt“. Doch es ist ein guter Anfang.

Autor und Bild: Jürgen Zweigert