Es war Bayerns Elektro-Urgestein DJ Hell, der es vor einem Jahrzehnt (ja, 2008 ist tatsächlich schon zehn Jahre her…) in einem Interview mit der GQ ziemlich deutlich auf den Punkt brachte: „Musik und Fashion waren immer Themen, die perfekt zusammen kooperieren. Menschen, die sich gegen diese Verbindung sperren, haben noch viel strengere Codierungen“. Aber stimmt die Aussage so noch? Und wenn ja, welche Mechanismen stecken dahinter und vor allem: Braucht man es? Einige Gedanken dazu und etwas Augenzwinkern.
Elektronische Modesünden
Fans des elektronischen Klanges lehnen sich mit diesem Text jetzt vielleicht in grinsender Überlegenheit zurück und denken sich „kann mir nicht passieren, Techno hatte nie Modesünden“. Ganz sicher? Gut, zugegeben, im Elektro-Bereich gabs vielleicht nie die wirklich krassen Modetrends, bei denen einen die Mutter vorm Ausgehen fragte „Wie kann man nur so aus dem Haus gehen?“.
Da hatten es Punks und Metalheads deutlich schlechter. Aber auch wenn Elektro heute modisch ziemlich unauffällig ist, so hatten auch wir unsere ganz eigene Hip-Hop-Baggypants-Phase. Die Älteren werden sich sicher noch daran erinnern (und haben es vielleicht selbst noch getragen) wie die Clubs vor etwas starrten: Der guten, alten Schlaghose. Nein, nicht das harmlose Exemplar, das um den Jahrtausendwechsel bei H&M hing, sondern die echt groben Dinger à la JNCO, Pash und Konsorten, bei denen es egal war, welche Schuhe man trug, weil sie eh unsichtbar blieben.
Schon peinlich berührt? Haben wir etwas Verdrängtes hervorgebracht? Dann vielleicht noch die Erinnerung an die wirklich schlecht gekleideten Techno-90er. Das Ding mit der Bauarbeiterweste, den weißen Handschuhen und der Staubschutzmaske ist nicht nur etwas, mit dem heutige „Wisst Ihr noch“-Sendungen für Lacher sorgen, sondern war damals für manche ebenso Fashion wie so einige, nun ja, doch eher fragwürdige Tanzarten auf Raves.
Woher kommt es?
Natürlich kann man sich an dieser Stelle die berechtigte Frage stellen: Woher kommt diese Connection? Für die Antwort müssen wir in eine Zeit reisen, in der wirklich noch niemand an elektronische Musik dachte.
Das erste Kleidungsstück, das man in der Retrospektive mit Musik verbinden kann, war der Zoot Suit. Ein oversized-Anzug, in dem US-Kids der 30/40er Jahre steckten und dazu Jazz hörten. Harmlos? Von wegen. Als die USA in den Krieg eintraten, kam es zu den sogenannten Zoot Suit Riots – ein Grund (neben Rassismus) dafür war, dass Soldaten die Anzugträger beschimpft und angegriffen hatten, weil der Stoff-üppige Zoot in rationierten Kriegszeiten ziemlich verschwenderisch und unpatriotisch wirkte.
Damals war man allerdings noch weit von einer echten Verbindung „Jugendkultur+Musik+Mode“ entfernt, die uns aber forthin immer begleiten wird. Die kam erst gegen Ende der Hippiebewegung der 1960er auf. Denn: All das, was die Flower-Power-Bewegung in ihrer antikapitalistischen Art ersonnen hatte, wurde ziemlich schnell und ziemlich gründlich von der (Mode-)Industrie zwischen Römersandalen und Haarband bedient. Hippies waren so gesehen die ersten Opfer einer Industrie, die langsam auch auf den Trichter gekommen war, dass auch Menschen unter 25 einen eigenen Geschmack haben – und was im Portemonnaie.
Counter-Culture
Nach den 60ern war vieles anders. Für diesen Artikel ist dabei vor allem von Bedeutung, dass sich danach erstmalig die Musikstile, welche die Jugend bewegten, großflächig aufsplitteten. Metal, Punk, Disco und alles, was danach noch kam, waren alles Kinder dieser vom Umbruch geprägten Ära.
Und hier kommt die Mode ins Spiel: In diesen ersten Jahren und Jahrzehnten funktionierte vieles über Identifikation, über Codes, Riten usw. In den 50ern, als der rebellischen Jugend nur Rock ´n´ Roll zur Verfügung stand, waren schon Lederjacke, T-Shirt und Jeans Ausdruck genug. Doch je mehr Subkulturen entstanden, desto wichtiger (und schwieriger) wurde es für die Anhänger, sich voneinander abzugrenzen. Und was macht man als junger Rocker, der partout nicht mit seinen Disco-hörenden Klassenkameraden verwechselt werden will? Man zieht sich eine Lederkutte an und macht enorme Mengen Patches drauf.
Und je eher die musikalische Jugendkultur einen konsumkritischen Ansatz verfolgte, desto rigoroser wurden die Mittel, zu denen man griff. Schaut man sich beispielsweise Punks aus der Zeit zwischen den 70ern und 80ern an, zeigt sich schnell: je rebellischer, desto überdeutlicher wurde diese Attitude auch über Mode nach außen getragen.
Ein Selbstläufer
Und an diesem Punkt setzt ein ziemlich interessanter Wirkmechanismus ein, der sich selber am Laufen hält. Es beginnt mit der zarten Blüte einer neuen, musikbasierenden Jugendkultur.
1. Anfangs noch unbekannt, zieht sie langsam neue Mitglieder in ihren Bann.
2. Die wollen sich von außen abgrenzen – auch durch Mode.
3. Mode macht optisch auffällig. Wesentlich auffälliger als das, was aus den Kopfhörern kommt
4. Mehr Menschen werden auch dadurch zu der Subkultur hingezogen
5. Fashion-Labels erkennen den Trend und beginnen, ihn gezielt zu bedienen und zu kopieren
6. Den ersten „Urmitgliedern“ wird der Hype bereits zu viel, sie spalten sich ab, eine neue Jugendkultur entsteht
Und egal welche Musikrichtung und welches Genre man sich anschaut, beinahe überall funktionierte und funktioniert es ähnlich. Ein sehr gutes, wenngleich nicht originär Techno-basierendes Beispiel ist das Label Supreme. Dessen lange Geschichte startete Mitte der 90er mit einem kleinen Laden, der sich ausschließlich an Skater wendete und deren antiautoritäre Attitüde bediente. Das rotweiße Logo wurde bekannter, auch weil der Skater-Trend wuchs. Heute indes ist das Label selbst ein Trend, der über eine Milliarde Dollar wert ist und nicht mehr nur verkauft, sondern „dropt“ und so seine Produkte nur zu einem bestimmten Zeitraum einem erlauchten Kreis darbietet.
Und auf vergleichbare Weise funktionierte es bei unzähligen anderen Labels und der dazugehörigen Musik. Manche waren nur groß, als auch der jeweilige Musikstil Mainstream war. Andere schafften es, sich davon abzukoppeln und auch Menschen anzusprechen, die gar keine Verbindung zu dieser Subkultur hatten – wobei das allerdings die Ausnahme ist. Kennt außer Insidern und denen, die damals dabei waren, heute noch jemand Mecca, Sabotage oder Buffalos? Vielleicht letztere, aber auch nur, weil die Plateau-Bomber ein Comeback feiern sollen.
Man muss älter sein…
… um sich von dieser Verbindung losreißen zu können. Zumindest was das eigene Ego anbelangt. Für Jugendliche und Jung-Erwachsene, die einer bestimmten Subkultur angehören, gilt auch heute noch „willst Du dazugehören, kleide dich so“. Da ist der Gruppenzwang einfach stärker als alles andere.
Überschreitet man jedoch diese unsichtbare Grenze, die viele irgendwo um den 30. Geburtstag verorten, wandelt sich das Ganze. Dann kann man sich noch so kleiden. Vielleicht muss man es manchmal auch, wenn man in gewisse Läden hineinkommen will.
Allerdings wird es mit diesem Alter auch etwas komplizierter. Der Bonus der Jugend ist es, dass sie tagein, tagaus in dem Look herumrennen darf, der zu ihrer Musik gehört. Mit richtigem Job, Familie und Co. wird das jedoch immer schwieriger. Und vor allem die, die schon lange zu einer Musikrichtung gehören, sehen dann die eben genannten Dresscodes auch als Segen an – endlich mal wieder im vollen Dress abfeiern, statt sich mit kleinen Andeutungen zufrieden geben zu müssen.
Hell hatte Recht
Insofern muss man DJ Hell nach wie vor vollkommen Recht geben. Denn Musik ist, egal wie alt man ist, immer auch ein Vehikel, das Jugend mittransportiert. Und damit unverbrüchlich verbunden ist nun mal die dazugehörige Mode. Beides sind hochemotionale Dinger, aber wie es bei Emotionen so ist, man kann sich hervorragend darüber streiten. Und einen DJ dürfte es am wenigsten stören, ob Teile seines Publikums im gerade angesagtesten Dress tanzen oder in Chucks, Jeans und T-Shirt.
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