In einigen Wochen wird André Wartmann seine Tätigkeit als Antisemitismusbeauftragter des Bezirksamtes Lichtenberg aufnehmen. Sein Arbeitsplatz ist die berlinweit erste ausgeschriebene Stelle, die ein Bezirksamt mit diesem Tätigkeitschwerpunkt besetzen wird.
Die Stelle dieses Beauftragten wurde auf Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung eingerichtet und ist dem Bereich des Bezirksbürgermeisters Michael Grunst (Die Linke) zugeordnet. Der Bezirk Lichtenberg verfolgt damit seine langjährige, kontinuierliche Strategie, Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus zu bekämpfen und solide Strukturen in Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung zu schaffen, die diesen Formen der Diskriminierung begegnen können. Zu den Aufgaben des Beauftragten wird es gehören, historisches Wissen zu vermitteln. Er wird außerdem Ansprechpartner für Opfer von Antisemitismus sein sowie Kontaktperson für die jüdische Gemeinde und jüdische Organisationen im Bezirk. Es gilt auch, Bezirksgeschichte weiter aufzuarbeiten. Dazu gibt es zum Beispiel Anknüpfungspunkte aus der jüngeren Zeit, wie die Zuwanderung jüdischer Kontingentflüchtlinge Anfang der 90er-Jahre oder auch historische Ereignisse, die sich in den Jahren des Zweiten Weltkrieges in unseren Städtepartnern in Osteuropa zugetragen haben.
André Wartmann befürchtet hohe Dunkelziffer
Es gibt wenige Juden, die in Lichtenberg wohnen, weiß auch Andrè Wartmann, der sich auf die Ausschreibung des Bezirksamtes aus dem Frühjahr des Jahres 2021 beworben hatte. Deren genaue Zahl sei auch nicht entscheidend für die Art seines Engagements in dieser Tätigkeit. Es gehe darum, die Stimmung und Haltungen im Bezirk einschätzen zu können und auch mehr Licht in die Dunkelziffern der Vorfälle zu bringen. “Im vergangenen Jahr hat es vier offiziell gemeldete antisemitische Vorfälle gegeben. Der bekannteste war der Brandanschlag auf die Kneipe ,Morgen wird besser’ in der Fanningerstraße”, sagt Wartmann. Die Kneipe eines jüdischen Besitzer war bereits in den vorangegangenen Jahr des Öfteren das Ziel antisemitischer Aktionen gewesen – Aufkleber, Schmierereien mit rechten Parolen und Drohanrufe hatte es zuvor oft gegeben. Das Feuer im Barraum der Kneipe im August 2020 war schließlich der Höhepunkt dieser Serie.
„Für unseren Bezirk ist die Bekämpfung von Antisemitismus, die Förderung jüdischen Lebens und die Präsentation der Jahrtausende alten jüdische Kultur von wachsender Bedeutung”, sagt Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke). Trotz geschichtlicher Aufarbeitung und vielfältiger Maßnahmen steige die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland und auch in Lichtenberg. “Das hat uns die Notwendigkeit einer solchen Position bestätigt“, erläutert der Bürgermeister, für den diese Stelle bereits vor den Vorfällen in der Fanningerstraße auf der politischen Agenda standen.
Andrè Wartmann, der bereits im Jüdischen Museum in Kreuzberg und beim Pädagogischen Dienst der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück tätig war, nimmt Lichtenberg heute als einen inzwischen bunten Bezirk wahr. “Die Zeit der zahlreichen rechtextremen Szenekneipen ist vorbei”, sagt er. Dennoch müsse man sich neuen Tendenzen politisch stellen. “Initiativen wie ,Der dritte Weg’ haben ja in Gebieten wie Neu-Hohenschönhausen zahlreiche Anhänger”, so Wartmann, der sich selbst auch als Ansprechpartner für von Antisemitismus betroffene Mitbürger begreift.
Datum: 27. Mai 2021, Text: red / Stefan Bartylla, Bild: Privat