Kleingärten Morgengrauen Carstensen Sigrid

Die Kleingarten-Kolonie „Morgengrauen“ muss einer Schule weichen. Am 22. November, dem Totensonntag, veranstalten die Laubenbesitzer eine symbolische Beerdigung. Auch, um auf das Kleingartensterben in Berlin aufmerksam zu machen. 

„Hier verschwindet ein Stück Stadtgrün“, sagt Sigrid Carstensen, die seit 23 Jahren stolze Besitzerin eines Kleingartens in der „Morgengrauen“-Kolonie ist. Stadgrün sei wichtig für die Umwelt und die Tier- und Insektenvielfalt Berlins. Trotzdem muss zumindest die „Morgengrauen“-Kolonie an der Tempelhofer Eisenacher Straße bereits Ende des Monats einer Baustelle weichen. Eine Schule soll dort hin. Deshalb planen die Laubenbesitzer eine letzte Welle des Protests und tragen ihre Kleingärten am 22. November, dem Totensonntag, symbolisch zu Grabe.

Aus den Medien vom Ende ihrer Kleingärten erfahren

Carstensen, die seit zwei Jahren auch Vorsitzende der Gartenkolonie ist, erfuhr vom Bauvorhaben aus den Medien. „Mit uns wurde nie gesprochen“, erklärt sie. Dieser Umstand sei bitter gewesen. Auch, wenn der Bau schon in einem 48-jährigen Bauplan vorgesehen war. In Zeiten von Klimawandel und Naturschutz hatten die Laubenbesitzer trotzdem nicht von jetzt auf gleich damit gerechnet. Die 63 Betroffenen seien frustriert, teilweise sauer, aber vor allem traurig über den Verlust ihres Stückchen Grün inmitten der Großstadt. Für die jahrelange Pflege und Instandhaltung der Lauben erhalten die Kleingärtner Entschädigungen durch den Senat. Einigen wurde eine Ersatzparzelle angeboten. Gerade jungen Familien, die in den letzten Jahren verstärkt unter die Kleingärtner gegangen sind, würden sich damit abfinden.

Wichtiger Rückzugsort für Leute aus der Umgebung 

Für die Carstensens ist das allerdings keine Option. „Mit 65 will ich nicht mehr von vorn anfangen“, sagt Sigrid Carstensen. Zumal kein Kleingarten in Berlin wirklich sicher sei. „Für manche Familien war es ein Rückzugsort seit fast 50 Jahren“, so Carstensen weiter. Im kommenden Jahr wäre die Kolonie 100 Jahre alt geworden. Sie sei nicht nur für die Besitzer, sondern auch für die Öffentlichkeit ein wichtiger Rückzugsort. Anwohner oder Senioren eines nahe gelegenen Pflegeheims seien ebenso durch die Kleingartenkolonie geschlendert wie Familien mit ihren Kindern.
Stiller Protest. Am Totensonntag möchten die Laubenbesitzer von ihren Kleingärten Abschied nehmen und sie symbolisch zu Grabe tragen. Damit möchten sie auch auf das generelle Kleingartensterben in Berlin aufmerksam machen. „Das, was der Berliner Senat jetzt vernichtet, ist unwiederbringbar dahin“, sagt Carstensen.

Der Kampf ums Stadtgrün

Der Senat will zwar die allermeisten der etwa 71.000 Parzellen im Stadtgebiet erhalten. Vor allem im Bezirk Tempelhof-Schöneberg aber sollen etliche Kolonien für soziale Einrichtungen wie Schulen oder Kitas genutzt werden. Berlinweit sind es 16 Kolonien, also mehr als 350 Parzellen. Laut Kleingartenentwicklungsplan 2030 wurde auch für die Kolonien Feldschlösschen, Borussia, Germania, Kaisergarten, Wild West in Teilen sowie Eschenallee bereits entschieden, dass diese weichen müssen. Die Kolonie Friede und Arbeit schwindet für den Wohnungsbau an der „Neuen Mitte Tempelhof“. Der Bezirk der am stärksten Betroffene in Berlin, wenn es um das Verschwinden von bestehenden Kleingärten geht.

Datum: 11. November 2020, Text: Anna von Stefenelli, Bild: Carstensen