Astrid Leicht vom Drogenhilfe-Verein „Fixpunkt e.V.“ fürchtet angesichts des jüngst gestarteten Zaunbaus rund um den Görlitzer Park eine weitere Eskalation der Situation. Wir haben mit ihr darüber gesprochen:
Frau Leicht, inwiefern hat Ihr Verein mit dem Görlitzer Park zu tun?
Fixpunkt ist ein sozialer Träger, der in Berlin aufsuchende Suchthilfe betreibt. Das bedeutet: Wir gehen und fahren an Orte im öffentlichen Raum, an denen sich Menschen aufhalten und illegale Drogen konsumieren, um Gesundheitsangebote und Beratung anzubieten – und einer der Orte, den wir regelmäßig frequentieren, ist der Görlitzer Park. Seit September 2023 sind wir an zwei Standorten im Park mit Kontaktmobilen präsent. Seit Juli 2024 ist auch ein Konsummobil an einem der beiden Standorte dabei: Im Zuge der Verdrängungsmaßnahmen vom Kottbusser Tor, der U8 und dem Leopoldplatz kamen immer mehr Drogenabhängige in den Park. Der neu entstandene Bedarf war mit dem bestehenden Angebot nicht zu decken. Die Problemlagen im Park haben sich in den letzten zwei Jahren also nochmal verschärft.
Was halten Sie denn von dem Zaunbau rund um den Görlitzer Park?
Da reihen wir uns ein in die Liga der Kritiker. Mal etwas Grundsätzliches: Wenn Veränderungen im öffentlichen Raum geplant werden, müssen diese adäquat diskutiert werden – und dahingehend ist das Verfahren von vornherein unglücklich gelaufen. Wir sind seit Jahren damit beschäftigt, die Problemlage rund um den Görli mit einem ganzheitlichen Konzept zu adressieren. Jetzt plötzlich anzukommen und als singuläre Maßnahme einen Zaun bauen zu wollen, ist einfach zu kurz gesprungen. Die Vorstellung, mit der Errichtung eines Zauns und dem nächtlichen Abschließen des Görlis die Problemlagen in den Kiezen abzumildern, ist ein Trugschluss. Aus unserer Sicht sorgt das für das Gegenteil, indem es das Problem noch mehr in die Kieze reindrängt. Denn: Was dann nicht mehr im Park stattfindet, wird draußen stattfinden. Zusätzlich gibt es genügend Menschen, die den Park einfach nur queren wollen. Der Park hat einfach eine lange Geschichte und eine große Bedeutung für die unmittelbare Nachbarschaft, und dennoch wurde diese Entscheidung über die Menschen hinweg getroffen.
Ist das aus Ihrer Sicht also vor allem Symbolpolitik, die nicht an einer Lösung interessiert ist?
Der Zaun als solcher kann sowieso keine Probleme lösen. Im besten Fall ist es eine von vielen Maßnahmen, aber selbst dann erschließt sich mir der Sinn nicht. Ich würde das jetzt gar nicht ideologisch oder politisch diskutieren, sondern einfach fragen: Was bringt das objektiv? Was ist der Aufwand und was der Nutzen? Wenn man nachts einen Park abschließt, muss man dafür sorgen, dass er leer ist, weil sich sonst die Probleme nachts im Park potenzieren. Damit kein rechtsfreier Raum dort entsteht. Das wird nicht nur eine Menge Ressourcen verbrauchen, sondern auch Widerstand erzeugen. Und selbst wenn es gelänge, den Park freizuräumen, wäre das ein hoher Preis für die Nachbarschaft. Wenn man uns in die Diskussion eingebunden hätte, hätte ich dafür plädiert, nachts Wachposten an die Wege zu stellen und die Beleuchtung weiter auszubauen. Also das Gegenteil von dem, was jetzt passiert: den Park nachts beleben und für Sozialkontrolle sorgen.
Da reihen Sie sich ein in die Forderungen des „Bündnis Görli zaunfrei“.
Ja, wir sind auch Teil des Bündnisses, immerhin grenzt unsere Geschäftsstelle an den Görlitzer Park. Wir als Nachbarschaft wissen aus erster Hand, welche Probleme die massive Verdrängung durch die Polizei gebracht hat. Die hat ja erst dafür gesorgt, dass der Handel auch in den Wrangelkiez und den Reichekiez gezogen ist; früher hat sich alles im Park abgespielt. Wenn die Polizei im Wrangelkiez die Repression verstärkt, wird sich das Problem abermals verlagern. Das ist ein einziges Katz- und Mausspiel.
Wie hat sich der Görli eigentlich zum Drogen-Umschlagplatz entwickelt?
Den Cannabis-Klein- und Einzelhandel gibt es da schon immer. 2014 dann, in der Zeit der Null-Toleranz-Politik, wurde massiv gegen die Händler vorgegangen. Und nachdem die Polizei den sozial verträglichen Einzelhändler vertrieben hat, haben sich im Park organisierte Handelsstrukturen etabliert. Das lief dann so: Kaum wurde ein Verkäufer verhaftet, kamen danach neue hinzu. Der Handel passt sich an den polizeilichen Druck an. Es kommt zu Revierkämpfen unter verschiedenen Händlergruppen; je höher das Gewaltpotential, desto mehr Händler werden rekrutiert, damit die aufeinander aufpassen. Also Sie sehen: Die Repression fördert die Eskalation und eine Spirale, die sich immer weiterdreht.
Das heißt, das Problem wird nicht an der Wurzel gepackt?
Nicht, wenn man sich derart auf die Verfolgung des Straßenhandels und die damit einhergehende Kriminalisierung der Konsumenten konzentriert. Der Konsument ist kein Opfer, wenn er aktiv verbotene Drogen kauft, aber es ist nicht zielführend, unsere Energie in seine Strafverfolgung zu stecken. Es muss langfristig überlegt werden, wie man die Situation für die Stadtgesellschaft und die Nachbarschaften erträglich macht.
Ganz ohne polizeiliche Kontrolle wird es aber auch nicht gehen.
Natürlich braucht man Repression und muss gegen Straftaten vorgehen, aber der aktuelle Aufwand steht einfach in keinem Verhältnis zum Nutzen. Die Herangehensweise an dieses Problem ist, anders als der Zaun signalisiert, kein Sprint, eher ein Marathon – man muss immer wieder die Richtung wechseln, die Schwerpunkte verlagern, und die gesamte Gegend betrachten. Die Relevanz von letzterem hat die Zaun-Diskussion zumindest wieder in den Fokus gerückt.
Wenn Sie die Zügel in der Hand hätten, welche Maßnahme hätte für Sie jetzt oberste Priorität?
Der Interessensausgleich: Jeder, der den Park nutzen will, soll das können und sich dabei sicher fühlen. Keine Gruppe sollte im Park überdominieren und ihn für sich beanspruchen. In einem hoch verdichteten Bezirk wie Kreuzberg, in dem wenig Grünflächen sind, muss eine 24-Stunden-Nutzung eines Parks möglich sein.
Wie reagieren Ihre Klienten auf den Zaunbau?
Die haben schon seit Jahren mit den Auswirkungen der polizeilichen Maßnahmen zu kämpfen. Und: Der Görli ist ja bereits teil-umzäunt; die Bauaktivitäten führen dazu, dass die Menschen zum Kanal oder nach Treptow abwandern. Und wenn der Druck nachlässt, kommen sie wieder zurück. Diese Menschen sind die letzten, die irgendwelche Forderungen stellen. Sie passen sich an, weil es für sie ums Überleben geht.
Um zum Schluss nochmal den Bogen zu Ihrer Vereinsarbeit zu spannen: Inwiefern beeinflusst der Zaun die Arbeit Ihres Vereins vor Ort?
Das kann man noch nicht absehen, weil es von vielen Faktoren abhängt. Auf die Frage, wie wir mit unseren Kontaktmobilen weiterhin in den Park kommen können, haben wir noch keine Antwort erhalten. Und was die Konsumenten betrifft, müssen wir die möglicherweise starke Verdrängung abwarten. Vielleicht verlieren wir unsere Standorte im Görli – aber dann folgen wir ihnen eben an die Orte, an die sie abwandern. Die unweigerliche Versprengung unserer Klienten wird eine verstärkte Arbeit auch zu Fuß oder per Lastenrad fordern. Also gut möglich, dass alles anstrengender und aufwändiger wird. Aber egal wie es wird – wir passen uns an.
Interview: Marie Ladstätter