Neue Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendkriminalität.

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, lautet ein Sprichwort. Das zeigt sich vor allem dann, wenn es darum geht, junge Menschen davon abzuhalten, eine kriminelle Karriere einzuschlagen. Gerade in schwierigen Milieus müssen Polizei, Justiz, Jugendhilfe und Schule an einem Strang ziehen, sind sich Experten einig. Das scheiterte in Berlin bislang vor allem am Datenschutz. Neukölln geht jetzt einen neuen Weg.

Anfang des Jahres hat die AG Kinder- und Jugendkriminalität die Arbeit aufgenommen. Sie ist Teil des Neuköllner Handlungskonzepts Prävention und Intervention bei Kinder- und Jugendkriminalität. Das  Prinzip dahinter: Sozialarbeiter suchen Familien auf, deren Nachwuchs sich zuvor auffällig verhalten hat. Sei es, weil die jungen Leute bereits Diebstähle oder Gewalttaten begangen haben oder regelmäßig die Schule schwänzen. Parallel  tauschen sich Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendhilfe und Schulen über den jeweiligen Fall aus. Die Sozialarbeiter zeigen Hilfsangebote, aber auch Wege hin zu einer besseren Integration auf.

Manch eine kriminelle Karriere beginnt auf dem Schulhof

Laut Bezirksamt stammen die meisten jungen Mehrfach- und Intensivtäter aus Familien mit arabischen und türkischen Wurzeln. Nicht zuletzt bewerten Sozialarbeiter die Umstände, unter denen die Kinder groß werden und versuchen, Empathie für Gewaltopfer zu wecken. All das soll konsequenter und fokussierter als bislang vonstattengehen und entsprechende Angebote besser verzahnt werden. Voraussetzung hierfür ist ein Datenaustausch zwischen den genannten Ermittlungs- und Präventionsbehörden. Um das freiwillige Angebot in Anspruch zu nehmen, unterschreiben die Eltern eine entsprechende Einwilligung, den Datenschutz auszusetzen.

Statistische Lücken

Die Zielgruppe sind Kinder von zehn bis 14 Jahre. Ab diesem Alter greift das Jugendstrafrecht. Doch dann ist es für viele Heranwachsende bereits zu spät. In Neukölln gibt es laut Bezirksamt derzeit 45 junge Menschen, die als Intensiv- oder Schwellentäter erfasst sind. Hinzu kommen 14 kiezorientierte Mehrfachtäter. Deren Anzahl sei rückläufig: 2010 waren es noch 149 Intensiv- oder Schwellentäter.

Probleme mit Kinder- und Jugendkriminalität bewegen sich jedoch oft unterhalb der statistischen Erfassung als Schwellentäter. Diesen Jugendlichen soll durch Intervention und Prävention bereits frühzeitig der Weg in ein straffreies Leben gewiesen werden. Schätzungsweise hätten fünf bis zehn Prozent der straffälligen Jugendlichen eine problematische Entwicklung vor sich und sind später für 40 Prozent aller Straftaten im Jugendbereich verantwortlich, wenn keine Prävention und Intervention erfolgt. In vielen Fällen seien abwesende Väter oder häusliche Gewalt auslösend für „delinquentes Verhalten“. Oder auch kriminelle Geschwister oder Elternteile.

Zur Steuerungsgruppe der AG zählen Vertreter des Bezirksamtes, der Polizei, Jugendberufsagentur, Senatsverwaltung für Bildung, der Staatsanwaltschaft und von Gerichten. Laut Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU)  ist die AG langfristig angelegt. Derzeit betreut sie 28 Fälle. Liecke: „Unser Ziel ist es, wesentlich weniger junge Straftäter zu haben.“ Im Berliner Vergleich bewegt sich Neukölln im Mittelfeld. Dennoch sehen die Beteiligten großen Handlungsbedarf.  „Die Polizei allein kann das Problem nicht lösen“, sagt Petra Roeßemann von der Polizeidirektion 5. „Die neue AG spannt einen doppelten Boden um die Jugendlichen, um sie vor dem Absturz zu bewahren“

Nils Michaelis, Bilder: imago/photothek, imago/Rolf Kremming