Gesundheit: Es klingt nach einem tollen Beruf: Hebamme. Sie helfen, Leben auf die Welt zu bringen, doch können sie kaum davon leben.

„Ich gehe jetzt nach Hause, sucht euch doch jemand anderen, der das hier macht!“ Dies ist eines der bekanntesten Zitate aus dem Kreißsaal, von Frauen kurz vor den Presswehen. Doch wehe, die Hebamme, und nicht die werdende Mutter, würde das sagen. Kaum vorstellbar? Oh doch! Aber von vorn…

Geschichte

Vor genau 100 Jahren wurden in der Neuköllner Hebammenlehranstalt am Mariendorfer Weg die ersten Hebammen professionell aus- und fortgebildet. Ein Meilenstein im Sinne einer zukunftsweisenden Erneuerung des Gesundheitswesens, der Maßstäbe über die Berliner Stadtgrenzen hinaus setzte. Eine Wanderausstellung in drei Kliniken würdigt nun dieses Jubiläum und einen der wichtigsten Standorte des Berufsstandes.

Die Realität

Die Hebamme: Es klingt nach einem tollem Beruf. Leben auf die Welt zu bringen und Familien im Umgang und Umsorgung des Neugeborenen zu helfen. Doch der Beruf hat es in sich: Die Hebamme muss rund um die Uhr für die Familie da sein, und das ist nur einer der Punkte. Denn die Bedingungen unter denen Hebammen arbeiten werden immer schlechter. Gründe sind die geringe Bezahlung, aber auch die hohen Beiträge, die die Geburtshelfer für eine Haftpflichtversicherung zahlen müssen – 7639 Euro im Jahr.  Und ein an sich schöner Trend bereitet den Berliner Hebammen ebenfalls Sorgen: Zwar gibt es flächenmäßig genug von ihnen, doch kommen auf jede Hebamme immer mehr Geburten in der  wachsenden Hauptstadt und immer weniger möchten bei einer Bezahlung unter dem Mindestlohn überhaupt noch Hebammen werden.

Der Krisengipfel

Vor zwei Wochen hatte die Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) zum Krisengipfel Hebammenmangel eingeladen um mit rund 50 Vertretern der Berliner Geburtskliniken, Hebammen, Krankenkassen, Ausbildungsstätten und der Verwaltung über die Situation der Geburtshilfe in Berlin zu beraten.  Die Ergebnisse: Fünf Kliniken planen neue Kreißsäle. Die meisten bemühen sich um bessere Arbeitsbedingungen. Die Hälfte übernimmt etwa die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung ganz oder teilweise, andere bieten außertarifliche Leistungen an. Die Zahl der in Krankenhäusern angestellten Hebammen steigt leicht, während die Zahl der Geburten, die eine Hebamme zu betreuen hat, leicht sinkt. „Wir werden gemeinsam die nötigen Kapazitäten für dieses Wachstum bereitstellen,“ sagte Dilek Kolat. Doch was nach einem Fortschritt klingt, ist ein Schlag ins Kontor der Zunft: Wovon dann leben, wenn die Zahl der Betreuten sinkt, auf maximal zwei werdende Mütter?

Die Praxis

Martina Schulze ist Vorsitzende des Hebammenverbands Brandenburg und findet: „Hebamme ist das Tollste was man als Frau beruflich machen kann, die Begleitung der jungen Familien ist etwas wunderbares.“ Aber: „Sowohl die freien als auch in der Klinik niedergelassenen Hebammen werden nicht adäquat bezahlt. Teilweise unter dem Mindestlohn. In den Kliniken muss eine Hebamme teils drei oder vier Frauen gleichzeitig betreuen. Das kann mitunter sogar gefährlich werden. Und das Geburtserlebnis sollte entsprechend der Situation ein Schönes sein. Die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass junge Frauen angeregt werden in den Beruf der Hebamme zu kommen, oder wenn sie es schon sind, es auch zu bleiben. Man muss das Arbeitspensum bewältigen können und die Einkünfte müssen so sein, dass es nicht einen Partner braucht, der einen  finanziell unterstützt. Und die Ausbildung muss angepasst werden an den europäischen Standard. Das würde die Arbeit attraktiver machen für junge Frauen.“ Die Geburtenzahl steigt seit einigen Jahren um fast  sieben Prozent pro Jahr. Mehr als insgesamt 40.000 Kinder dürften es bis Ende 2017 sein.  Oft müssen Rettungswagen auf andere Kliniken ausweichen, weil alle Betten belegt sind. Manchmal kümmert sich eine Hebamme um  bis zu fünf Frauen pro Schicht. Das dürfe nicht sein.

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Viel Arbeit, wenig Geld

„Eigentlich werden in der Stadt genug Hebammen ausgebildet“, sagt  Simone Logar, Vizechefin des Berliner Hebammenverbandes. „Das Personal würde reichen, wenn die Kolleginnen auch Vollzeit arbeiten könnten.“ Viele Hebammen haben sich wegen stressiger Arbeitsbedingungen jedoch für Teilzeit entschieden – und während die Versicherungsbeiträge hoch seien, gebe es immer noch zu wenig Honorar für die verantwortungsvolle Tätigkeit. Die meisten Hebammen arbeiten freiberuflich. Für eine zu einer Geburtsstation gerufene Hebamme gebe es pro Entbindung brutto deutlich unter 300 Euro. Allerdings zahlen die Krankenkassen den Kliniken für Behandlungen rund um Geburten oft ein Vielfaches und die Ausgaben der Krankenversicherungen für Hebammen steigen seit Jahren. Rund 98 Prozent der Frauen entscheiden sich für eine Entbindung im Krankenhaus.

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Markus Engelhardt, Bild: Museum Neukölln, Foto: Thinkstock/iStock/Kzenon