Warum das Bordell „Artemis“ auch einen Monat nach der Razzia geöffnet ist.
Gesprungen wie ein Tiger, gelandet wie ein Bettvorleger. Genau so empfinden viele das, was bisher herauskam bei der mit riesigem Personalaufwand vorgenommenen Razzia in Berlins größtem Bordell „Artemis“. 900 Beamte der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung und des Zolls waren Mitte April im Einsatz. Straftaten wie Schwarzarbeit, Menschenhandel und Steuerhinterziehung wurden vermutet.
Gleiche Betriebsamkeit
Etwa 400 Beamte stürmten damals das 3.000 Quadratmeter große Gebäude. Die Ermittler betonten: Nicht die Kunden seien Ziel der Razzia gewesen, sondern die Betreiber, die aus dem Rockermilieu stammen sollen sowie vier Frauen, sogenannte Haus-Damen. Diese sechs sitzen laut Staatsanwaltschaft immer noch in Untersuchungshaft. Aber die Geschäfte im „Artemis“ gehen offensichtlich weiter. In Presseberichten heißt es, es herrsche die gleiche Betriebsamkeit wie zuvor. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, das zuständige Bezirksamt und die Staatsanwaltschaft weisen sich die Verantwortung dafür gegenseitig zu. Doch wie ist es wirklich?
Martin Steltner, Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, kann den öffentlichen Unmut nachvollziehen, betont aber: „Wir haben mit einer eventuellen Schließung des Betriebes nichts zu tun. Dies gehört in die Zuständigkeit des Bezirks.“
Charlottenburg-Wilmersdorfs Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) erklärt: „Am Tage des polizeilichen Einsatzes, an dem Kräfte des bezirklichen Ordnungsamtes vor Ort nicht beteiligt waren, hatten die Ermittlungsbeamten der Polizeivollzugsbehörden zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Schließung im Sofortvollzug vorliegen. Diese haben sich dazu entschieden, diese Maßnahme nicht durchzuführen.“ Dies habe sich im Nachgang als richtig herausgestellt, betonte der zuständige Stadtrat Marc Schulte (SPD) dazu vor dem Bezirksparlament. Denn es braucht stichhaltige Argumente und Beweise für einen solchen Schritt.
Faktisch angestellt
Das Ordnungsamt des Bezirks prüft, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf der erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis vorliegen. Um das „Artemis“ tatsächlich schließen zu können, müsste die „fehlende gewerberechtliche Zuverlässigkeit der Gewerbetreibenden erwiesen“ sein. So weit ist es offenbar noch nicht. Die beiden in U-Haft sitzenden Betreiber hätten auf ein Schreiben des Bezirks inzwischen geantwortet. Details verrät der Bezirk aber momentan nicht.
Das eigentlich Verwerfliche für Stadtrat Schulte sei der Verdacht, dass im „Artemis“ Frauen als Scheinselbstständige um ihre Ansprüche auf Sozialleistungen gebracht werden. Die Staatsanwaltschaft schätzt den Schaden auf 17 Millionen Euro. Bei der Befragung von bisher 90 Prostituierten seien Indizien für eine Scheinselbstständigkeit gesammelt worden. Angeblich „freiberuflich“ arbeitend, habe sich herausgestellt, dass die Damen feste Arbeitszeiten hatten, Eintritt zahlen mussten, Zimmer zugewiesen bekamen, einer Kleiderordnung unterlagen sowie vom Bordell ärztlich versorgt wurden. Faktisch wie Angestellte, schlussfolgert Steltner. Zu strafrechtlichen Konsequenzen mag er sich nicht äußern. Mit Blick auf die weiteren Ermittlungen rät er nur: „Abwarten!“
Michael Hielscher / Bild: Archiv/imago/Christian Mang / Bild: Archiv/imago/Petra Schneider