obdachlos berlin kälte
Berlin Symbolfoto Obdachloser Berlin *** Berlin symbol photo homeless person Berlin

Abstand, Hygienevorschriften, geschlossene Kultureinrichtungen: Die Corona-Pandemie trifft  jeden Einzelnen. Besonders hart gestaltet sich diese Zeit jedoch für die Obdachlosen.

Vieles ist anders in diesem Jahr. Unterhaltungs- und Kultureinrichtungen sind wegen Corona geschlossen, die meisten Veranstaltungen abgesagt. Grund genug, um sich zu Hause einzumummeln. Während die einen genervt darüber sind, würden sich andere Menschen zumindest über ein paar Stunden Wärme täglich freuen. Stattdessen stoßen Obdachlose noch mehr auf verschlossene Türen als in anderen Jahren. Ihr Leben spielt sich weitestgehend draußen ab.
 
„Die Kälte ist in diesem Jahr das größte Problem“, sagt etwa auch die 29-jährige Ina. Es ist ihr zweiter Winter auf der Straße. In Berlin hat sie dort ihren Freund kennengelernt und schlägt sich seitdem mit ihm gemeinsam durch. Während sie ihr Leben schildert, sitzt er neben ihr auf einem Stuhl vor der Kleiderausgabe der Berliner Stadtmission. Im Freien. Auch das ist anders. Vor Corona durften sich die wohnungslosen Menschen wenigstens noch kurz drinnen umziehen. Das geht jetzt nicht mehr.
 

Weniger Plätze für die Nacht

Ina durfte als einzige Frau ausnahmsweise in die Kleiderkammer
Ina und ihr Freund sehen aus wie ganz normale junge Menschen. Dass sie obdachlos sind, würde auf den ersten Blick gar nicht auffallen. Corona trifft die beiden hart und geht ihnen im wahrsten Sinne des Wortes durch Mark und Bein. Der Kälte können die Obdachlosen in diesem Jahr kaum entfliehen. Zwar gibt es Kälteeinrichtungen für die Nacht, doch sind diese begrenzt. Weniger als tausend Notübernachtungsplätze gibt es bisher für die Nacht in ganz Berlin. 1.967 Obdachlose wurden Ende Januar in der Stadt gezählt. Laut Schätzungen dürfte die Dunkelziffer aber weitaus höher liegen.
 
Die Rechnung ist einfach: Die Plätze reichen nicht für alle. Wegen der geltenden Hygienevorschriften gibt es noch weniger Platz als in den Jahren zuvor. Das bestätigt auch Barbara Breuer. „Bisher haben wir immer geschaut, dass wir jemanden noch reinquetschen, obwohl schon alles voll war. Das geht in diesem Jahr nicht“, erklärt die Pressesprecherin der Berliner Stadtmission. Diejenigen, die in einer Notunterkunft unterkommen, müssten diese spätestens um 8 Uhr morgens verlassen. „Dann verbringen sie den ganzen Tag auf der Straße, immer nur draußen.“
 

Es gibt kaum Wärmequellen

Durch die Hygieneregelungen fallen nicht nur die Übernachtungsplätze weg. Auch viele Orte zum Aufwärmen, die es den Obdachlosen früher erleichterten, einen Wintertag zu überstehen, sind nun passé. Auch die geschlossenen Gastronomiebetriebe sind ein Problem. „Jetzt kann ich mich nicht mal eben für einen Euro in ein Café setzen und was Warmes trinken“, beschreibt Ina ihre Situation. Auch viele Hilfseinrichtungen wie Suppenküchen oder Kleiderkammern sind geschlossen oder bieten nur Hilfe direkt auf der Straße an.

Wo früher ein warmer Raum mit heißen Getränken angeboten wurde, gibt es heute nur mehr Verpflegung außerhalb der Gebäude. Dabei waren diese Einrichtungen gerade für diejenigen Obdachlosen wichtig, die nachts nicht in einer Unterkunft bleiben können. Etwa, weil sie mit Suchtproblemen oder psychischen Problemen zu kämpfen haben. Das sei bei Obdachlosen oft der Fall. Mehr als 70 Prozent von ihnen, schätzt Barbara Breuer, leiden unter behandlungsbedürftigen psychischen Problemen. Viele schaffen es nicht, sich an Regeln zu halten, die in solchen Einrichtungen gelten. Oder sie kämpfen dort mit großen Ängsten, Verfolgungswahn oder kulturbegründeten Auseinandersetzungen. So wie Inas Freund, der plötzlich ohne ersichtlichen Grund aggressiv wird und flüchtet.

Für Menschen mit psychischen Problemen fallen auch die wenigen 24-Stunden-Einrichtungen aus, die es derzeit in Berlin gibt. Da gibt es einerseits die Quarantäne-Einrichtungen für Corona-positive Obdachlose, andererseits Wohneinrichtungen für Obdachlose. Eine Voraussetzung für die Aufnahme in Letzteren ist häufig der Wille, von der Straße wegzukommen. „Das ist nur für die Allerwenigsten eine echte Option“, weiß Breuer. Für alle anderen sei es besonders wichtig, schnelle und unbürokratische Hilfe zu bekommen.

Ehrenamtliche oft 60+

Der obdachlose Mustafa kämpft sich durch die Kälte
Für die Hilfe, die es gibt, sind die Obdachlosen trotz der Schwierigkeiten dankbar. Auch Ina. „Ich kann mich gar nicht beklagen. Wir bekommen immer eine helfende Hand“, sagt sie. Ob dies für alle gelte, bezweifelt sie allerdings. „Wir hatten oft Glück. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass das daran liegt, dass wir perfektes Deutsch sprechen und jung sind“, sagt sie. Doch viele Obdachlosen sprechen kein Deutsch. 
 
So wie Mustafa aus Marokko, der vor der Kleiderkammer wartet. Der Mann lebte mehr als 30 Jahre lang in Italien, hatte dort eine Wohnung und ein Auto, ehe er aufgrund der Wirtschaftskrise alles verlor. Nun versucht er seit 2016, auf der Straße in Berlin zu überleben. Die Kälte sei in diesem Jahr besonders hart. Er spricht Französisch, Marokkanisch und Italienisch. So ist die Kommunikation oftmals schwierig. Auf Italienisch erzählt er: „Das Leben ist ein Kampf geworden. Die Kälte ist überall. Aber es geht schon irgendwie. Ich bin froh, wenn es einen Übernachtungsplatz gibt.“ Mustafa freut sich sichtlich, dass jemand mit ihm spricht, ihm zuhört. Das sei nicht oft der Fall. Er lächelt. „Das Leben geht immer weiter“, sagt er. Dann zieht er sich den warmen Pullover aus der Kleiderkammer an und verschwindet.
 

So können Sie aktiv helfen

Die Sachspenden sind in diesem Winter noch viel wichtiger als sonst. Doch es herrscht großer Mangel. Die allermeisten Spenden kommen laut Breuer von Frauen. Doch der größte Teil der auf der Straße Lebenden sind Männer. So gibt es immer zu wenig Kleidung für Männer. „Gerade Schuhe außerhalb der Standardgrößen sind knapp“, erklärt Breuer.  Unglaublich wichtig seien auch gute Schlafsäcke, Taschentücher, Zahnputzzeug, Unterwäsche für Männer und Frauen sowie saubere, gut erhaltene warme Kleidung sei immer gerne gesehen. 

Mit Spenden können Hilfseinrichtungen selbst fehlende Sachen nachkaufen. Für die Berliner Stadtmission kann man etwa unter diesen Daten: IBAN: DE63 1002 0500 0003 1555 00; BIC: BFSWDE33BER; Bank für Sozialwirtschaft; Verwendungszweck: Kältehilfe

Aktiv helfen. Auf warme Kleidung und andere Sachspenden sind Obdachlose in diesem Jahr noch mehr angewiesen als zuvor. Sie sind geradezu überlebenswichtig. Doch es herrscht großer Mangel. Während die allermeisten Spenden laut Breuer von Frauen kommen, sind der größte Teil der auf der Straße Lebenden Männer. Für sie gebe es immer zu wenig Kleidung. „Gerade Männerschuhe außerhalb der Standardgrößen sind knapp“, erklärt Breuer.  Außerdem mangelt es ständig an guten Schlafsäcken, Taschentüchern, Zahnputzzeug, Unterwäsche für Männer und Frauen sowie sauberer, gut erhaltener warmer Kleidung. Auch Geldspenden seien von großer Bedeutung und deshalb immer gerne gesehen.

Mehr Tests für Hilfsangebote

Zumindest was die Nacht betrifft, hat der Berliner Senat nun auf den Druck der Obdachlosenhilfen reagiert. Zusätzlich zu den rund 1.000 Notübernachtungsplätzen der Kältehilfe würden mehr Übernachtungsangebote und Aufenthaltsorte für kalte Tage geschaffen, erklärte die Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales vergangene Woche. Gäste und Mitarbeiter der Einrichtungen sollen sich Corona-Schnelltests unterziehen.
 
Wohnsitzlose können die Kältehilfeeinrichtungen nun auch tagsüber nutzen, weil viele ihrer sonst genutzten Aufenthaltsorte aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr zugänglich sind. Auch eine Einrichtung nur für Frauen und Familien steht zur Verfügung. Die Beherbergungsangebote sind vorerst bis zum 30. April kommenden Jahres geplant. Ab dem 15. Dezember lässt der Senat täglich 450 warme Mahlzeiten und Lunchpakete verteilen, das Angebot ist finanziert bis März. Auch ein Gastronomiebetrieb in Mitte soll tagsüber für bis zu 150 Gäste geöffnet werden.
 
Weitere Projekte sind laut Senat geplant, geeignete Einrichtungen werden demnach geprüft. Teil der Strategie sind auch durchschnittlich 46.500 Corona-Schnelltests von November bis März. Ziel sei es, die Gäste der Kältehilfe täglich und die Mitarbeiter einmal die Woche zu testen. Damit wurde inzwischen mehr erreicht, als noch am Beginn der Pandemie möglich schien. Zumindest für Mustafa erhöht sich jetzt die Chance, einen rettenden Übernachtungsplatz zu ergattern. Für alle Obdachlosen wird das Angebot allerdings auch jetzt nicht reichen. 
 

Datum: 8. Dezember 2020, Text: Anna von Stefenelli, Bilder: Berliner Stadtmission, Breuer; Anna von Stefenelli