Medizin: Ein Gespräch mit Dr. Walter, Arzt in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne.
Dr. Georg Walter leitet nicht nur die Rettungsstelle des Klinikums Spandau, sondern hat 2015 auch die medizinische Versorgung für Geflüchtete im Medpunkt in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne übernommen. Seitdem hat er rund 6.000 Patienten behandelt. „Am Anfang haben mein Team und ich Erkältungen, Erschöpfung, wunde Füße oder Mangelernährung behandelt. Erst später kamen chronische Krankheiten wie Diabetes oder Herzinsuffizienz dazu. Wir sehen auch immer wieder Folgen von Verletzungen durch Misshandlungen, Folter oder Krieg. Die äußerlichen Wunden sind abgeheilt, aber Verstümmelungen und psychische Folgen bleiben,“ sagt er nachdenklich.
Zeit nehmen
„Ich hatte selten so dankbare Patienten wie in den ersten drei bis sechs Monaten dort! Aber ich musste auch schnell lernen, dass Menschen aus anderen Kulturen andere Vorstellungen davon haben, wie eine ärztliche Behandlung aussieht oder wie eine Anamnese abläuft“, erzählt er. Eine einfache Frage wie die nach Kopfschmerzen ergab manchmal ein längeres Gespräch zwischen Patient und Dolmetscher und anschließend ausschweifend blumige Erzählungen über den Kopfschmerz in verschiedensten Lebenslagen. Da merke man, es geht ums Reden. Bei der Behandlung von Flüchtlingen sei man unbedingt auf die Mitarbeit von Sprachmittlern angewiesen. Wie bei jedem Patienten müssten auch die kulturellen und persönlichen Hintergründe berücksichtigt werden. „Wir unterstützen die politische Absicht, Flüchtlinge möglichst im Rahmen der ambulanten Regelversorgung zu betreuen. Dazu müssen wir künftig unseren medizinischen Lotsendienst ausbauen“, so der Arzt.
Zusätzlich wird mehr soziale und psychiatrische Betreuung notwendig sein, denn jetzt machen sich die Folgen von Traumatisierungen zunehmend bemerkbar. Viele „Erst“-Bewohner sind mittlerweile in Gemeinschaftsunterkünfte gezogen, nun ziehen vermehrt Flüchtlinge ein, die zuvor in Turnhallen untergebracht waren. Ambitionierte Menschen mit guten Startvoraussetzungen (Sprache, Beruf, Bildung, Verwandte in Deutschland) sind ausgezogen. Zurück bleibt, wer mehr Zeit und Unterstützung braucht. Dazu zählen auch die Bewohner mit teils schweren psychischen Erkrankungen in Folge von Folter, Krieg, Flucht und Vertreibung. Sorgen bereitet dem Team der zunehmende Konsum von Medikamenten und Drogen, oft als Selbstmedikation gegen die Ängste und Schlafstörungen. Dr. Walters Fazit: Der Bedarf wird sich auf niederschwellige Sprechstunden konzentrieren. Die allgemeinmedizinischen, internistischen Sprechstunden könnten reduziert werden, wenn Lotsen die Patienten begleiten.
Kristina Tschenett, Vivantes, Bild: Getty Images, Photodisc/Tom Le Goff