Bis 2030 entsteht ein Viertel zum Leben, Arbeiten und Forschen.
Seit Jahrzehnten bietet sich in der Siemensstadt ein gewohntes Bild: Wie eine Festung thronen die trutzigen Produktionsanlagen von Siemens beiderseits der Nonnendammallee hinter hohen Zäunen. Doch schon in wenigen Jahren wird im Spandauer Nordosten alles anders sein: Bis zum Jahr 2030 soll aus dem auf viele abweisend wirkenden Gewerbestandort ein offener Kiez zum Wohnen, Arbeiten und Forschen werden. Erste Konturen der der etwa 70 Hektar großen „Siemensstadt 2.0“ wurden am Mittwoch bei der Präsentation des Siegerentwurfs des Städtebaulichen Wettbewerbs deutlich. Dieser stammt von dem Berliner Büro Ortner & Ortner Baukunst.
Hochhaus als Zentrum
Dazu einige Eckpunkte: Sämtliche Erdgeschosszonen werden zu einem durchgängigen und öffentlichen „Stadtgeschoss“.Das neue Zentrum bildet ein 150 Meter hohes Hochhaus mit davor liegendem „Stadtplatz“. Nördlich davon soll eine Europaschule mit Schwerpunkt Englisch entstehen. Zusätzliche 60-Meter-Bauten markieren die Eingänge zum Areal. Die Schaltwerkhallen werden zum Teil für öffentliche und kulturelle Nutzung umgestaltet, das Schaltwerkhochhaus soll neben Büros auch Wohnungen und ein Hotel enthalten. 30 Prozent der insgesamt rund 2.750 Wohneinheiten werden mietpreisgebunden sein. Dieser Anteil entspricht den Vorgaben des Berliner Modells der kooperativen Baulandentwicklung. Zudem sind Grünflächen, Kitas und Senioreneinrichtungen geplant.
Der Jury-Vorsitzende und Architekt Stefan Behnisch: „Die Jury sieht in diesem Entwurf eine gute Grundlage für die Gestaltung der zukünftigen Siemensstadt. Er ist kein fertiges Bild, sondern er lässt Raum für notwendige Entwicklungen. Dies ist ein Entwurf, der respektvoll mit den historischen Gebäuden umgeht, und sie gleichzeitig in eine zeitgemäße Nutzung führt. Er erfüllt in großen Teilen die heutigen Bedingungen, lässt jedoch auch Raum für die künftigen Entwicklungen einer modernen, neuen Wohn- und Arbeitsstadt.“ Wie und ob das Nebeneinander von klassischer Industriearchitektur und modernen Neubauten funktioniert, dürfte sich nach Auffassung von Beaobachtern aber erst dann zeigen, wenn die Planung konkreter Bauvorhaben startet.
Großer Gewinn für Berlin
Daniel Buchholz, Sprecher für Stadtentwicklung der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sieht die Entwicklung der Siemensstadt 2.0 „ausgesprochen positiv und als „großen Gewinn für den Stadtteil und ganz Berlin“. Die Sieger des städtebaulichen Wettbewerbs hätten kluge Vorschläge für die Gebäude und öffentlichen Räume vorgelegt. Auch die soziale Infrastruktur wie Schulen sei umfassend berücksichtigt und an prominenten Stellen platziert worden.
Ein Hochhaus passe ausgezeichnet in den neuen Stadtteil und könne als sichtbarer Leuchtturm schon von weitem auf die Siemensstadt 2.0 hinweisen. „Klar ist, dass über 5.000 neue Bewohner und vermutlich ebenso viele neue Arbeitsplätze insbesondere für den Verkehr eine massive Herausforderung bedeuten“, so der Spandauer Abgeordnete. „Der zügige Wiederaufbau der Siemensbahn ist genauso notwendig wie eine Verstärkung der U7 und zusätzliche Angebote wie Straßenbahnen und saubere Elektro-Express-Busse.“
Verbindliche Bürgerbeteiligung nötig
Die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch gratulierte der Jury zur einstimmigen Entscheidung für einen „mutigen Entwurf“. „Ich begrüße sehr, dass der Entwurf des Berliner Architekturbüros ausdrücklich offen ist für weitere Entwicklung“, so Jarasch. „Umso wichtiger ist jetzt eine verbindliche Bürgerbeteiligung, die Land, Siemens und Bezirk Spandau gemeinsam organisieren sollten.“
Zuvor hatten die Grünen aus Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf in einer Planungswerkstatt Ideen und Forderungen gesammelt. Im Vordergrund stand die Frage, wie aus der „Siemensstadt 2.0“ ein innovatives, sozial-ökologisches Quartier mit Modellcharkter werden kann. „Die Verkehrswende muss auf dem Gelände stattfinden“, sagt Jarasch im Hinblick auf die noch ungeklärte verkehrliche Erschließung. Sie regt neben Rad- und Fußwegen auch Mobilitätshubs und eine Tramtrasse an. Die 6.500 geplanten Parkplätze müssten „deutlich reduziert“ werden. „Das neue Stadtquartier sollte auch für die angrenzeden Quartiere offen sein und die Lebensqualität dort erhöhen.“
Baustart in zwei Jahren
18 Architektur- und Stadtplanungsbüros hatten Siemens und das Land Berlin zur Teilnahme am Städtebaulichen Wettbwerb eingeladen. Mitte 2019 fanden zwei Bürgerforen statt, bei denen Projektverantwortliche von Siemens gemeinsam mit Vertretern des Landes Berlin sowie des Bezirks Spandau über den Fortgang der Planung informierten, Rede und Antwort standen und die Anregungen aus der Bevölkerung aufnahmen. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung dienten allerdings nur der Inspiration, wie Siemens mitteilt. Zusätzlich startete Siemens ein öffentliches Online-Forum zum Thema.
Nach weiteren Planungs- und Genehmigungsschritten sollen bereits 2022 die ersten Bauarbeiten beginnen. Siemens wird etwa 600 Millionen Euro in den Zukunftsstandort investieren.
Datum: 9. Januar 2020. Text: Nils Michaelis. Bild: Ortner+Ortner/Siemens AG