27.05.2020, Berlin - Deutschland. Sanierter und unsanierter Altbau *** 27 05 2020, Berlin Germany Refurbished and unrefurbished old buildings

Die Gefahr, dass Mieter durch teure Sanierungen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, besteht nicht nur in der City. Nun sollen auch Haushalte in zwei Spandauer Kiezen besser geschützt werden.

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Spandau hat jetzt die ersten beiden Milieuschutzgebiete für den westlichsten Berliner Bezirk beschlossen – unter maßgeblicher Mitwirkung eines Stadtrats der CDU. Dabei steht die Partei Regulierungen auf dem Immobilienmarkt sonst eher kritisch gegenüber.

„Die Ausweisung der beiden Milieuschutzgebiete ist notwendig geworden, um städtebaulich unverträgliche Aufwertungsmaßnahmen zu vermeiden und die Mieter vor Verdrängung zu schützen“, sagt Baustadtrat Frank Bewig (CDU). Die rechtlichen Voraussetzungen dafür lägen vor. Das habe eine Untersuchung ergeben, die das Bezirksamt in Auftrag gegeben hat. „Danach unterliegt mittlerweile auch Spandau aufgrund der steigenden Nachfrage nach gut ausgestatteten Miet- und Eigentumswohnungen einem wachsenden Aufwertungsdruck – vor allem in den Altbaugebieten“, sagt Bewig.

Haushalte in Neustadt von Armut bedroht

Für zwei Altbaugebiete des Bezirks, die Wilhelmstadt sowie die Spandauer Neustadt, wurde jetzt der Milieuschutz beschlossen. Das Milieuschutzgebiet der Spandauer Neustadt erstreckt sich nördlich vom Falkenseer Platz rund um die Schönwalder Straße bis zum Askanierring. Dort leben etwa 18.800 Menschen in zirka 9.800 Wohnungen. Etwa 89 Prozent der Wohnungen sind einfach, aber zeitgemäß ausgestattet. Die Miete beläuft sich im Mittel auf 6,80 Euro je Quadratmeter (kalt). 17 Prozent der Haushalte haben ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze.

Zum Milieuschutzgebiet der Wilhelmstadt gehören die Wohnquartiere rund um Pichelsdorfer Straße und Klosterstraße – von der Heerstraße im Süden bis zum Brunsbütteler Damm im Norden. Hier leben rund 23.000 Menschen in rund 14.500 Wohnungen. Rund 84 Prozent der Wohnungen sind einfach, aber zeitgemäß ausgestattet. Die mittlere Miete beläuft sich auf 7,17 Euro je Quadratmeter (kalt). Hier haben sogar 23 Prozent der Haushalte ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze.

Viele Menschen leben teilweise schon 30 Jahre lang in ihrer Wohnung. Mit der Ausweisung der beiden Milieuschutzgebiete sind Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen in den Quartieren künftig genehmigungspflichtig. Erteilt werden Genehmigungen nur in bestimmten Fällen. Bauliche Veränderungen bedürfen ebenfalls einer Zustimmung. „Wir wollen erreichen, dass die städtebaulichen Strukturen erhalten bleiben und die Bewohner ihr Wohnquartier nicht verlassen müssen, nur weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können“, sagt Bewig.

Stadtrat: Modernisierungen trotz Milieuschutz

„Ich habe immer gesagt, ich verschließe mich dem Instrument des Milieuschutzes nicht“, so Bewig. „Aber es muss auch gerichtsfest sein.“ Das sei nun tatsächlich gelungen. „Klar ist aber auch: Der Milieuschutz ist kein Allheilmittel“, sagt Bewig. Der Neubau preiswerter Wohnungen sei genauso nötig, um für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen.

„Gleichzeitig wollen wir durch den Milieuschutz sinnvolle Modernisierungen nicht grundsätzlich verhindern“, so der Stadtrat. „Ich will schließlich keine Käseglocke über die Quartiere stülpen.“ Welche Umbauten in den Milieuschutzgebieten künftig noch möglich sind und welche untersagt bleiben, werde in einem Kriterienkatalog festgelegt. 

Mietervertreter loben den besseren Schutz der Mieter. „Die Auswirkungen der wachsenden Stadt Berlin sind bereits seit Längerem in Spandau deutlich spürbar“, sagt Marcel Eupen, Chef des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbundes (AMV). „Von daher begrüßen wir es sehr, dass Spandau nun seine ersten beiden Milieuschutzgebiete bekommt.“

Aufwertung durch TXL-Schließung

Zufrieden zeigt sich auch die Linke, die bereits im März 2017 für Milieuschutzgebiete in der Havel-Stadt geworben hatte. „Endlich kommt der Milieuschutz auch nach Spandau und genau dorthin, wo er benötigt wird“, sagt die Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer. Die Neustadt sei durch die bevorstehende Schließung des Flughafens Tegel besonders davon bedroht, dass Wohnungen baulich aufgewertet und in Eigentum umgewandelt werden. Das könnte genau wie in der Wilhelmstadt zur Verdrängung der dortigen Bevölkerung führen.

Dieser Beitrag erschien am 18. Juni in der Berliner Zeitung. Die ursprüngliche Fassung finden Sie hier.

Datum: 18. Juni 2020, Text: Ulrich Paul, Bild: imago images/Sabine Gudath