Der Streit um Poller im Waldseeviertel im Bezirk Reinickendorf nimmt kein Ende. Ein Anwohnerbündnis will die Modalfilter jetzt juristisch auf den Weg bringen. Der Bezirk kündigt einen Runden Tisch an.
Im vergangenen Jahr hatte die Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf einstimmig beschlossen, dass der Durchgangsverkehr nicht weiter durch die Elsestraße und Schildower Straße im Ortsteil Hermdorf rollen soll. Mit Modalfiltern, die den Autoverkehr ausbremsen, den Fuß- und Radverkehr aber durchlassen, sollte der motorisierte Durchgangsverkehr im Waldseeviertel testweise unterbunden werden. Das Bezirksamt hat den Beschluss wegen rechtlicher Bedenken noch nicht umgesetzt. Dieser Tage legte es eine rechtliche Stellungnahme vor.
“Die bezirkliche Argumentation, dass die kleinen Wohnstraßen im Waldseeviertel zur Entlastung der Bundesfernstraße B96 gebraucht würden, ist blanker Hohn”, so Michael Ortmann von der Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung. Täglich würden rund 6.000 Autos durch den von gutbürgerlichen Eigenheimen geprägten Kiez fahren. Der Anteil der Durchfahrten betrage laut einem unabhängigen Verkehrsgutachten 90 Prozent.
Initiative reicht anwaltlichen Antrag beim Straßenverkehrsamt ein
„Die Anwohner gehen nun mit juristischem Beistand gegen das undemokratische und gesetzeswidrige Verhalten des Bezirksamtes vor“, teilt Ortmann schriftlich mit. Der beim Straßenverkehrsamt Reinickendorf eingereichte anwaltliche Antrag stütze sich unter anderem auf das Berliner Mobilitätsgesetz. Demnach ist der starke Durchgangsverkehr im Waldseeviertel zum Schutz der Radfahrer und Fußgänger zu unterbinden. „Das Mobilitätsgesetz sieht einen Vorrang des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs vor – und zwar bei allen Planungen und Maßnahmen, also auch im Waldseeviertel“, so Ortmann. Das Bezirksamt äußerte sich bislang nicht öffentlich zum Thema.
„Letztendlich geht es darum, in was für einer Stadt wir leben wollen“, kommentiert Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities e. V. den Vorgang laut der Mitteilung. Der Verein will noch in diesem Jahr 180 sogenannte Kiezblocks, das sind Wohnviertel mit weniger Durchgangsverkehr und mehr Lebensqualität, in ganz Berlin initiieren. Ein Pilotprojekt für einen solchen Kiezblock, also eine verkehrsberuhigte Nachbarschaft, soll das Waldseeviertel in Hermsdorf sein.
Protest gegen Straßensperren am Stadtrand
Die Poller an der Grenze zu Brandenburg sind umstritten. Nach dem Votum des Bezirksparlaments hatte Baustadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass weder eine solche Straßensperrung noch eine „Einbahnstraßenregelung“ eine angemessene Lösung der Verkehrssituation darstellen würden. Vielmehr würden dadurch “untragbare Verkehrsverlagerungen” ausgelöst und die Bundesstraße 96 vollständig überlastet werden.
„An diesem Gutachten kann die Politik nicht einfach vorbeigehen”, ließ die Initiative Offene Nachbarschaft Hermsdorf-Glienicke seinerzeit wissen. Sie hat wiederholt zu Protestaktionen gegen die Poller mobilisiert.
Stadträtin weist Kritik zurück
Schultze-Berndt kritisiert das Vorgehen von Ortmanns Initiative: „Ich bedaure, dass es erneut zu Beschimpfungen gekommen ist, anstatt den Dialog zu suchen.“ Den Vorwurf, in der Sache undemokratisch und gesetzeswidrig vorzugehen, weist sie zurück: „Das Bezirksparlament hat mit seinem Beschluss Verwaltungshandeln angeregt. Wir haben diesen Beschluss geprüft. Das ist ein höchst demokratisches Vorgehen.“
Von einem Kiezblock im Waldseeviertel hält die Stadträtin nichts. „Dadurch würde noch mehr Verkehr über die ohnehin überlastete B96 fließen“, sagt sie. Die Probleme mit dem Durchgangsverkehr könne Reinickendorf ohnehin nicht im Alleingang lösen, betont die CDU-Politikerin. Derzeit erarbeite das Bezirksamt mit der Gemeinde Glienicke und dem Landkreis Oberhavel einen Letter of Intent. In Kürze sollen Eckpunkte der Absichtserklärung vorgestellt werden. Um den Gesprächsprozess im Waldseeviertel wieder in Gang zu bringen, sei ein Runder Tisch geplant. Der Termin ist noch offen.
Datum: 26. April 2021, Text: Nils Michaelis, Archivbild: imago/Jürgen Ritter