Bezirk und Senat legen Ein-Jahres-Bilanz für Kinderschutzambulanz vor.
Die getrennt lebenden Elternteile machen sich heftige Vorwürfe: Sie beschuldigen sich gegenseitig, den sechs Jahre alten Sohn zu schlagen. Was ist in der Familie los? Wenn sich etwa Jugendamtsmitarbeiter und Kinderärzte unsicher sind, ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist, können sie seit einem Jahr weiteren Rat einholen. Fünf sogenannte Kinderschutzambulanzen finanziert das Land Berlin an Kliniken, und sie sollen über das laufende Jahr hinaus bestehen, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) jetzt bei der Vorstellung der Ein-Jahres-Bilanz ankündigte. Ziel sei es, Kinderschutzfälle frühzeitig zu erkennen.
Im Fall des Sechsjährigen, von dem die Ambulanz des Vivantes-Klinikums in Neukölln berichtet, fanden Mediziner ältere Verletzungsanzeichen auf dem Rücken. Ob Gewalt dahintersteckt, können die Ärzte nicht mit Sicherheit sagen, auch die Aussagen des Kindes seien nicht eindeutig. Sie empfehlen, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu prüfen: „dringlicher Handlungsbedarf“ des Jugendamts oder eines Familiengerichts, so das Fazit. In 366 Verdachtsfällen wie diesem sind Kinderschutzambulanzen seit ihrer Gründung im April 2016 involviert gewesen, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Den Verdacht sahen die Ambulanzen bei knapp 30 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen eindeutig bestätigt. In 23 Prozent der Fälle wurde eine Kindeswohlgefährdung eindeutig ausgeschlossen.
84 Meldungen gab es in Neukölln, davon 47 wegen des Verdachts auf körperliche Misshandlung. Eine tatsächliche Kindeswohlgefährdung lag in sechs Fällen vor, bei 62 war sie nicht ausgeschlossen. Die Zahlen zeigten, dass die Einrichtungen in Berlin gefehlt hätten und dass es gelungen sei, noch mehr Kinder zu schützen, so Scheeres. Übrig bleibe allerdings mit rund der Hälfte der Fälle ein Graubereich, in dem eine Gefährdung, wie im Fall des Sechsjährigen, nicht ausgeschlossen ist und in dem es für die Kinderschutz-Akteure am Ball zu bleiben gilt. Bei bestätigter Gefährdung muss das Jugendamt eingreifen und zum Beispiel prüfen, ob das Kind aus der Familie genommen wird. Am häufigsten waren Fälle körperlicher Misshandlung, vor sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung, sagte Kolat. Die Jugendämter überwiesen die meisten Fälle an die neuen Ambulanzen.
Unverzichtbares Angebot
Für die Kinderschutz-ambulanz in Neukölln zog Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) eine positive Bilanz: „Sie ist ein wesentlicher Baustein im bezirklichen System Kinderschutz. Gerade bei unklaren Fällen und einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung kann eine spezialisierte medizinische Diagnostik bei der Klärung helfen. Das ist sowohl für die Fachkräfte des Jugendamtes und Freier Träger als auch für die Eltern eine enorme Entlastung. Denn auch falsche Verdachtsfälle können so schnell aufgeklärt werden.“ Gegebenenfalls ergeben sich daraus auch notwendige medizinische Maßnahmen aufgrund bestimmter Erkrankungen, die zu dem Verdacht geführt haben. „Die Kinderschutzambulanz ist meiner Ansicht nach unverzichtbar für einen gelingenden Kinderschutz.“ Weitere Standorte sind an Kliniken in Mitte, Buch, Charlottenburg und Tempelhof angedockt. Sie kooperieren mit der schon länger bestehenden Gewaltschutzambulanz der Charité.
Dpa/NM, Bild: imago/Sommer, dpa/Julian Stratenschulte