Einst gab es in Berlin rund 80 Betriebe, in denen Drehorgeln gefertigt wurden. Heute ist Axel Stüber aus Biesdorf einer der letzten seiner Art in ganz Deutschland. Dennoch macht sich der 66-Jährige kaum Sorgen um die Zukunft seines kleinen Handwerksbetriebs, der sogar die Energiekrise bislang bestens meistert.
Explodierende Energie- und Rohstoffpreise, durchbrochene Lieferketten, Fachkräftemangel: Vor allem kleine und mittelständische Firmen stehen vor großen Herausforderungen. Wir erkunden in dieser Serie, wie sich Handwerker, Unternehmensinhaber und Firmenchefs auf die aktuellen Probleme einstellen. Diesmal: Axel Stüber, Drehorgelbauer aus Berlin-Biesdorf.
Wie Axel Stüber zu den Drehorgeln kam
Alles begann für Axel Stüber mit der Geige in Güstrow. Dort wuchs er auf und versuchte als Kind jahrelang das Saiteninstrument zu erlernen. Doch viel ist davon nicht geblieben, außer seiner Liebe zur Musik, die ihn später schließlich zum Kirchenorgelbau brachte. Seine wahre Leidenschaft fand Stüber jedoch nicht in großen Gotteshäusern, sondern in kleinen Leierkästen aus Holz, auch Drehorgeln genannt. Seit über 40 Jahren hat er “einen Narren daran gefressen”, wie Stüber sagt.
Im Osten von Berlin war er nach seinem Umzug im Jahr 1977 der einzige Orgelbauer. Natürlich fanden viele, die ein Problem mit ihrer Drehorgel hatten, auch zu ihm. Ohnehin standen in seiner damaligen Werkstatt bereits zwei Drehorgeln, die ihm sein Vorgänger überließ und somit den Weg für Stübers zukünftige Passion legte. Diese rührt wohl auch daher, dass der Schritt vom Anfänger zum Könner bei der Drehorgel schnell geschafft ist: Einfach die Kurbel gleichmäßig schwingen und schon erklingt die Musik fehlerfrei.
Leierkasten mit Charme
Vor etwa 100 Jahren waren Drehorgeln aus den Städten nicht wegzudenken, natürlich auch in Berlin. Doch heute sieht man sie nur noch selten, was ihrem Charme keinen Abbruch tut – eher im Gegenteil. Auf jedem Volksfest, Festival oder Familienfeier sind die edel verzierten Kästen ein Hingucker und lassen aufhorchen.
Doch auch wenn das Spielen mit etwas Feingefühl leicht von der Hand geht, steckt in dem Bau und Feinschliff einer rein mechanischen Drehorgel, wie sie Stüber herstellt, eine ganze Menge handwerkliches Geschick und knapp 400 Arbeitsstunden. “Daher stehen die Preise auch alle online”, sagt er, “es bringt nichts, wenn mich Leute anrufen und eine Drehorgel für 200 Euro haben wollen.”
Zusammenspiel hunderter Einzelteile
Inzwischen gibt es zwar auch Drehorgeln, die elektronische Teile verbaut haben oder sogar mit Samples arbeiten, doch Stüber mag es wie seine Kunden eher traditionell. Das würde die Leierkästen nicht nur langlebiger machen, sondern auch für ihren unverwechselbaren Klang sorgen. Dieser entsteht durch das fein abgestimmte Zusammenspiel hunderter Einzelteile: Tasten, Bälge, Hebel, Luftschläuche, Ventile und natürlich die Pfeifen.
Den letzten Schliff erhalten Letztere von Stüber selbst, während Jochen Schmitt vor allem für den Bau der Pfeifen zuständig ist und Gerhard Hoffmann sich um die Technik kümmert. Seit Mitte der Achtziger arbeiten sie zusammen, wenn es nach Stüber geht, noch viele weitere Jahre. Denn mit dem Nachwuchs sieht es in seinem Handwerk schlecht aus.
Aktuell habe er zwar keinen Personalbedarf, doch selbst wenn: Den Lehrberuf des Drehorgelbauers gibt es nicht und für einen Orgelbauer sei “das so ein bisschen unter der Würde”, wie Stüber scherzhaft erklärt, “beinah so als wenn ein Opernsänger anfangen würde, Schlager zu singen.”
Zu exotisch für die Krise
Doch das ist nicht die einzige Sorge, die Stüber beschäftigt. Erst vor kurzem habe er einmal durchgerechnet, wie hoch die nächste Gasrechnung ausfallen könnte. Zwar verbraucht die Werkstatt in Biesdorf gerade einmal so viel wie ein kleines Einfamilienhaus, doch die erwartete Verfünffachung der Kosten würde auch ihn schmerzen. “Bislang ist nichts Böses aufgeschlagen, doch selbst wenn, ist das für uns irgendwie machbar”, sagt Stüber. Ohnehin verbrauche der Drehorgelbau zum Glück keine großen Ressourcen und sei viel zu exotisch, um von der aktuellen Krise wirklich betroffen zu sein.
“Wir kaufen pro Jahr etwa einen Kubikmeter Nadelholz”, sagt er, “das ist Kleinkram.” Dennoch versucht Stüber zu sparen, wo es nur geht. Politiker möchte er zurzeit noch viel weniger sein als je zuvor. Doch statt Duschtipps und Spritzuschüssen wünscht er sich, dass die Politik in der aktuellen Situation den Finger endlich in die Umweltwunde legt und den Schutz derer radikaler angeht. Denn das, so Stüber, wird uns auf lange Sicht zum wahren Problem.
Text und Fotos: Sascha Uhlig