Quereinsteigerinnen

Kirstin Hennemann und Gabriele Braun haben sich in einem Männerberuf durchgesetzt – sie sind Maßschuhmacherinnen

Gabriele Braun ist – im wahrsten Sinne des Wortes – verschnupft. „High Heels“, sagt sie, „könnte ich grad gar nicht tragen. Heute mussten es die flachen Treter sein.“ Mir war neu, dass man Schuhe auch danach auswählen kann, wie man sich fühlt – ob krank oder fit wie wie ein Turnschuh zum Beispiel. Wobei Gabriele Braun in zweitem Falle höhere Absätze tragen und entsprechend beschwingter durch den Tag schweben würde. Heute aber fühlt sie sich durch ihre bequemen Schuhe ausreichend „beschützt“, um trotz Erkältung ihrer großen Leidenschaft zu frönen.

Gabriele Braun ist Maßschuhmacherin. Wenn man mit ihr über ihre Berufung spricht, kann sich das Gespräch nicht nur um den Schuh als Ausdruck körperlichen Befindens, sondern durchaus auch als Status- oder gar Sexsymbol drehen. „Leder finde ich sehr männlich“, verrät die Oberfränkin, während sie den Schaft für eine Stiefelette über den Leisten spannt und aufzwickt. Dabei geht sie so geschickt mit der Zwickzange zu Werke, dass man kaum glauben mag, hier einer Quereinsteigerin bei der Arbeit zuzuschauen.

Allerbeste Qualität

Dass die Unternehmensberaterin ab 2014 zur Maßschuhmacherin „umschulte“, daran hat Kirstin Hennemann einen nicht geringen Anteil. Bei ihr absolvierte Gabriele Braun 2013 einen dreitägigen Schnupperkurs, nachdem sie festgestellt hatte, dass ihrem Leben etwas „Handfestes und Kreatives“ fehlte. Heute weiß keine der beiden Frauen genau zu sagen, ob es diese drei Tage waren oder die Tatsache, dass Vater Braun viele Jahre als Schuhmacher gearbeitet hat oder ob da beides in Kombination den Ausschlag gab – fest steht: Seit 2016 sind Gabriele Braun und Kirstin Hennemann Kolleginnen und Geschäftspartner.

Gabriele Braun bestreicht eine Sohlenlage mit Kleber

Kirstin Hennemann mit dem „Babylon Berlin“-Schuh

Extra starke Nähmaschine für Schuhleder

Ohne Leisten geht beim Schuhmacher nichts

Ihr Label „Hennemann & Braun“ steht für passgenaues Schuhwerk bester Qualität. Wer an der Ladenwerkstatt in der Senefelder Straße in Prenzlauer Berg haltmacht, kann durch die beiden großen Schaufenster Schuhmacher-Handwerk live miterleben. Das aber vermittelt allerhöchstens eine Ahnung davon, wie viel Aufwand und Hingabe nötig sind, einen Maßschuh zu fertigen. Wer bereit ist, 3.000 Euro und mehr für den ersten individuell gefertigten Schuh seines Lebens auszugeben, muss Geduld haben.

Genaue Vermessung

Bis zu sechs Monate kann es dauern, ehe das gute Stück die Füße umschmeichelt. Los geht’s mit einem Kundengespräch. „Als Erstes wollen wir wissen, was der Kunde mit seinem Schuh machen möchte. Danach sprechen wir über die Art des Schuhs, über Material, den Schnitt, die Farbe und den Aufbau der Sohle“, erklärt Kirstin Hennemann. Danach werden die Füße genauestens vermessen, weil diese Maße Grundlage für den Leisten sind, wie das Holzmodell der Fußform genannt wird. „Von da an“, so die im Emsland geborene Schuhmacher-Meisterin, „sind es noch 300 Arbeitsschritte bis zum fertigen Schuh.“

Übrigens: Ein Paar Schuhe von „Hennemann & Braun“ konnte der aufmerksame Zuschauer in der ARD-Erfolgsserie „Babylon Berlin“ bestaunen. Mit ihm tanzte Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter durch die wilden Berliner Nächte. Dass es Schuhe von Kirstin Hennemann gibt, ist drei Umständen geschuldet: dem Mangel an passendem Schuhwerk im Leben der damaligen Lehramtsstudentin, dem Mut, das ungeliebte Studium zugunsten von etwas Handfesterem abzubrechen und dem Durchhaltevermögen, sich über Ausbildung, Gesellen- und Meisterprüfung sowie der Qualifizierung zur orthopädischen Schuhmacherin ihrem Traum Stück für Stück zu nähern, als Maßschuhmacherin zu arbeiten. Dem aus ihrer Sicht „perfekten Zusammenspiel von Handwerk und Kreativität“.

Datum: 20.10.2018 Text: Ulf Teichert Fotos: Stefan Bartylla