Berlin (dpa/bb) – In der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales und ihren Vorgängerbehörden im Westteil der Stadt arbeiteten nach dem Krieg einige frühere Nazis in leitenden Positionen. Allerdings war hier wohl weniger NS-belastetes Personal in der Leitungsebene tätig als in vergleichbaren Bundesbehörden. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, Samuel Salzborn, veröffentlichte.
Für diese durchforstete der Historiker Stefan Jehne Archive, Bücher, Zeitungsartikel und Online-Quellen. Dabei stieß er demnach auf 48 Personen, die zwischen 1945 und 1961 in höheren Positionen bis hin zum Abteilungs- oder Behördenleiter tätig waren, darunter einige wenige bei Sozial- und Arbeitsbehörden im Ostberliner Magistrat. Mindestens sieben davon – keiner aus Ost-Behörden – waren als NSDAP-Mitglieder NS-belastet, wie es heißt. Zu 31 Personen fanden sich keine oder nur wenige Angaben.
Späterer Direktor soll bei Kriegsverbrechen mitgewirkt haben
Einige der ermittelten NSDAP-Mitglieder bekleideten bereits in der Nazizeit wichtige Posten in Behörden. Genannt wird das Beispiel eines späteren Senatsdirektors, der laut Studie im NS-Fürsorgewesen womöglich an der Verfolgung sogenannter Asozialer beteiligt war. Ein späterer Direktor des Landesversorgungsamts stehe in Verdacht, vor 1945 als Angehöriger von SS-Einsatzgruppen an Massenerschießungen von Juden in der besetzten Sowjetunion beteiligt gewesen zu sein.
Auseinandersetzung mit NS-Historie «unverzichtbar»
«Weil die antisemitische NS-Diskriminierungs- und Vernichtungspolitik maßgeblich von staatlichen Akteuren konzipiert, gelenkt und durchgeführt wurde und nicht wenige von diesen Eliten nach dem Nationalsozialismus wieder in staatlichen Institutionen beschäftigt waren, ist es unverzichtbar, die selbstkritische Auseinandersetzung der Berliner Senatsverwaltungen mit NS-Kontinuitäten zu fördern», erklärte Salzborn. «Dies ist umso wichtiger, weil auch heute auf Berliner Straßen wieder ein Schlussstrich in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gefordert wird.»
Viel zu lange seien solche Fragen nicht gestellt worden, sagte Salzborn der Deutschen Presse-Agentur. «Viele Jahrzehnte wurde der Mantel des Schweigens über diese Problematik gelegt.» Wünschenswert sei, die Studie weiterzuführen und weiter zu recherchieren – auch um herauszufinden, inwieweit die fraglichen Personen ihre Einstellungen aus der NS-Zeit in ihrer späteren Arbeit in konkretes Verwaltungshandeln umsetzten.
Senatorin sieht bedeutenden Schritt
Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) erklärte, mit der Studie habe ihre Senatsverwaltung einen bedeutenden Schritt in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit ihrer NS-Vergangenheit gemacht. Ein solcher Blick in die Vergangenheit sei unerlässlich. «Dies umso mehr, weil Antisemitismus, menschenverachtende Einstellungen und Demokratiefeindschaft in Deutschland und auch in Berlin wieder zunehmen.»
Nach Angaben Salzborns beauftragte die Berliner Justizverwaltung schon vor längerer Zeit eine ähnliche Untersuchung. Die Wirtschaftsverwaltung denke über einen solchen Schritt nach.