Der Ravensburger Verlag hat zwei „Winnetou-Jugendbücher“ vom Markt genommen. Die Werke um den jungen Häuptling würden „rassistische“ Vorurteile schüren. Für unseren Redakteur Nils Michaelis geht die Debatte um Klischees in Filmen und Büchern am eigentlichen Problem vorbei.
Als Winnetou im Jahr 1965 im dritten Teil der gleichnamigen Karl-May-Trilogie den Filmtod starb, weinte ganz Kinodeutschland. 57 Jahre später wünschen sich manche Zeitgenossen, dass der „Häuptling der Apachen“ erneut zu Grabe getragen wird, wenn auch in anderem Sinne.
Der Ravensburger Verlag hat zwei Jugendbücher zurückgezogen, die zum Kinostart von „Der junge Häuptling Winnetou“ hätten erscheinen sollen. Das Unternehmen verwies auf Vorwürfe, wonach der indirekt auf Karl Mays Romanen basierende Stoff „kolonialistische“ und „rassistische“ Vorurteile schüre und ein Fall von unerwünschter „kultureller Aneignung“ sei. Die Debatte gipfelt in Forderungen, Winnetou, Old Shatterhand und Co. komplett im Giftschrank verschwinden zu lassen und damit aus dem öffentlichen Bewusstsein zu tilgen.
Absolute Wahrheit
Ob die dunkelhäutige Kinderbuchfigur Jim Knopf oder Dreadlocks bei hellhäutigen Reggae-Musikern: Der Streit um Winnetou ist eine weitere Stufe einer Diskussion, in der die Verbreitung von Stereotypen und „kulturelle Aneignung“ angeprangert werden. Einer Diskussion, die wenig Raum für Zwischentöne lässt.
Vielmehr scheinen einige, die sich im Namen der „Wokeness“ zu Wort melden, für sich in Anspruch zu nehmen, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Der Weg von einer an sich legitimen antirassistischen Grundhaltung zur Verbohrtheit ist manchmal sehr kurz.
Natürlich ist es ernstzunehmen, wenn sich Minderheiten in Werken der Unterhaltungskultur verzerrt oder gar negativ dargestellt sehen. Die Entscheidung von Ravensburger wird vor allem auf den Protest einer Gruppe von Native Americans in Kaiserslautern zurückgeführt, die sich für die Interessen indigener Völker und amerikanischer „Indianer“ einsetzt. Diese kritisierte, die Figur des Winnetou sei zu einseitig positiv besetzt.
Eigenes Bild
Dennoch ist es unsouverän, ein Buch zu verbannen, das auf Klischees und einer vereinfachten Weltsicht basiert. Niemand sollte Lesern und Kinogängern die Fähigkeit absprechen, sich ein eigenes Bild zu machen. Dass gilt nicht nur für den „jungen Häuptling Winnetou“, sondern auch für Karl Mays Bücher überhaupt. Dessen Bild vom „Wilden Westen“ hat ohnehin niemand jemals für bare Münze genommen.
Kulturelle Güter müssen immer auch im Kontext ihrer Entstehungszeit gesehen werden. Ansonsten könnte der Bannstrahl der „woken“ Generation demnächst so gut wie alles treffen, was Europa in mehr als 2.000 Jahren Kulturgeschichte hervorgebracht hat.
Und was die kulturelle Aneignung betrifft: Ohne Aneignung ist die Entstehung und Weiterentwicklung jedweder Kultur undenkbar. Wir sollten lieber den realen Rassismus bekämpfen, anstatt absurde Debatten über Werke der Unterhaltungsindustrie zu führen, die letztendlich Geschmackssache sind.
Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Sollen wir Winnetou und Co. beerdigen? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil! Den Kasten dazu finden Sie in der rechten Leiste auf der Startseite.
Text: Nils Michaelis