Erzbischof Heiner Koch ermutigt Opfer, sich weiterhin zu melden und noch unbekannte Missbrauchsfälle öffentlich zu machen. ArchivbiId: IMAGO/Christian Spicker
Erzbischof Heiner Koch ermutigt Opfer, sich weiterhin zu melden und noch unbekannte Missbrauchsfälle öffentlich zu machen. ArchivbiId: IMAGO/Christian Spicker.

Das Erzbistum Berlin will aus einer Vielzahl von Fällen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche weitere Konsequenzen ziehen.

Ziel sei es, derartige Taten einerseits weiter aufzuarbeiten und andererseits für die Zukunft zu verhindern, machten Erzbischof Heiner Koch und Generalvikar Manfred Kollig am Dienstag deutlich. Geplant seien etwa Änderungen beim Beschwerdemanagement zur Verhinderung von Machtmissbrauch, Verbesserungen bei der Aus- und Weiterbildung von Priestern und anderen Beschäftigten sowie eine Überprüfung bestimmter Standards etwa für Beichte oder Kommunion.

Kollig zufolge sollen außerdem fünf Personalverantwortliche nicht mehr mit Vorgängen betraut werden, die mit mutmaßlichem Missbrauch zu tun haben. Sie würden weder bei entsprechenden Voruntersuchungen gegen Beschäftigte noch bei der Bearbeitung von Missbrauchsfällen eingesetzt.

Mitarbeiter verzögern Aufklärung

Die fraglichen Mitarbeiter haben laut einem neuen Rechtsgutachten zwar keine kirchenrechtlichen oder sanktionswürdigen Verfehlungen begangen. Sie seien aber für Verzögerungen bei der Untersuchung von Missbrauch verantwortlich, „was als Beleg für eine nicht optimale Arbeitsmoral und unzureichendes Verantwortungsbewusstsein angesehen werden“ könne. Weitere disziplinarische Maßnahmen gegen die Betreffenden würden geprüft, so Kollig.

„Der Skandal des sexuellen Missbrauchs stellt Kirche infrage“, sagte Koch. Es stelle sich die Frage: „Sind wir noch eine Gemeinschaft des Glaubens oder ein Apparat? Sind wir Kirche um der Kirche oder um Gottes und der Menschen Willen?“ Bei der Aufarbeitung gehe es nicht um Image-Verbesserung oder das Zurückgewinnen von Vertrauen in die Institution. „Es geht um die Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, und darum, alles zu tun, dass Missbrauch in unserer Kirche keinen Platz findet“, unterstrich er.

61 Geistliche an Missbrauch beteiligt

Im Januar 2021 hatte die Kirchenleitung ein von einer Kanzlei erstelltes Gutachten vorgestellt, wonach mindestens 61 Geistliche im Bereich des Erzbistums Berlin zwischen 1946 bis Ende 2019 am sexuellen Missbrauch von Minderjährigen beteiligt waren. Aus Akten wurden bis dato 121 Opfer bekannt. Wie das Erzbistum nun mitteilte, wurden im Jahr 2021 in elf weiteren Fällen Missbrauchsvorwürfe gegen Kleriker oder andere Kirchenmitarbeiter erhoben. Die mutmaßlichen Taten lägen zum Teil schon länger zurück.

Die Dunkelziffer könnte weit höher liegen, hieß es schon vor gut einem Jahr in dem Bericht. Hierarchische Strukturen und mangelnde Kommunikation hätten Aufklärung und Prävention behindert.

Projekte und Maßnahmen kontrollieren

Zu ähnlichen Schlüssen kommt nun auch eine Kommission aus Priestern und Laien. Eine Kernforderung ist, im erzbischöflichen Ordinariat eine eigene Abteilung oder einen eigenen  „Fachbereich Aufarbeitung“ zu schaffen, der alle kirchlichen Projekte und Maßnahmen rund um das Thema Missbrauch koordiniert und kontrolliert. „Wir denken, dass Professionalität gerade in diesem Bereich oberstes Gebot ist. Dieses Thema geht nicht nebenbei“, sagte Kristin Wedekind, eine Vertreterin kirchlicher Laien in der Kommission. 

Kollig sieht hier noch offene Fragen. Eine Fachstelle können eine Möglichkeit sein. Wenn sie im erzbischöflichen Ordinariat angesiedelt werde, könnten Kritiker indes ihre Unabhängigkeit in Zweifel ziehen, gab er zu Bedenken.

Koch ermutigte Opfer, sich weiterhin zu melden und noch unbekannte Fälle publik zu machen. „Es ist mir bewusst, wie schwer es manchen fällt, die Vergangenheit anzurühren. Aber seien Sie versichert: Wir hören Sie und wir glauben Ihnen“, sagte er an die Adresse der Opfer.

Erzbischof: „Wir glauben den Opfern“

Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche in Deutschland seit geraumer Zeit in ihren Grundfesten. Das Erzbistum Berlin ist bei der innerkirchlichen Aufarbeitung bereits diverse Schritte gegangen. Unter anderem gibt es spezielle Ansprechpersonen für Opfer, einen Betroffenbeirat und eine gemeinsame Aufarbeitungskommission der Bistümer Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz sowie des Katholischen Militärbischofsamtes. An manche Opfer wurden Entschädigungen gezahlt.

Zum Erzbistum Berlin gehören die Hauptstadt, Teile Brandenburgs, Vorpommern sowie die Stadt Havelberg in Sachsen-Anhalt.

Quelle: dpa