Beim Prozessauftakt verbargen die Angeklagten ihre Gesichter hinter Aktendeckeln. (Archivbild)
Beim Prozessauftakt verbargen die Angeklagten ihre Gesichter hinter Aktendeckeln. (Archivbild) Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin (dpa) – Gut ein halbes Jahr nach einer Attacke auf SPD-Mitglieder im Bundestagswahlkampf in Berlin sind vier mutmaßliche Neonazis aus Sachsen-Anhalt zu Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten verhängte Haftstrafen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten. In zwei Fällen soll in einem halben Jahr darüber entschieden werden, ob die Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können. Die beiden Männer bleiben so lange auf freiem Fuß.

Die 17 bis 20 Jahre alten Angeklagten hätten sich unter anderem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. «Alle vier waren an den Taten beteiligt», sagte der Vorsitzende Richter Gregor Kaltenbach. Es gebe keinen Zweifel, dass sie aus ihrer politischen Gesinnung heraus die Opfer attackiert hätten. Die vier Angeklagten seien dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. 

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Ehepaar und Polizisten attackiert

Die Angeklagten aus Sachsen-Anhalt waren nach Berlin gereist, um an einer Demonstration des rechten Spektrums teilzunehmen. Laut Urteil haben sie am 14. Dezember 2024 gegen 12 Uhr an einer Bushaltestelle in Berlin-Lichterfelde Eheleute attackiert, die rote Mützen mit SPD-Logo trugen. Der 50-jährige Mann wurde durch Tritte und Schläge mit Springerstiefeln auch gegen den Kopf verletzt. Als Polizisten eintrafen, wurden auch diese attackiert.

Die Angeklagten wurden alle wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Einige wurden auch des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Beleidigung sowie Widerstands schuldig gesprochen. 

Richter: «Schädliche Neigungen liegen vor»

Bereits auf der Bahnfahrt habe sich ein 19-Jähriger daneben bekommen, so der Richter. In Lichterfelde hätten sie dann zufällig das Paar mit SPD-Mützen getroffen. Dem Mann sei die Mütze abgezogen worden. Alle vier hätten den 50-Jährigen attackiert. Einer der Angeklagten habe eindeutig nachweisbar mit Springerstiefeln getreten. Betroffene der Gewalt waren eine SPD-Kommunalpolitikerin und ihr Ehemann, die von einem Wahlkampfstand kamen und auf einen Bus warteten. 

Es habe eine erheblich aggressive Stimmung geherrscht, so der Richter. Nur weil zwei zufällig anwesende Polizisten eingeschritten seien, sei Schlimmeres verhindert worden. Zwei der Angeklagten hätten Polizisten angegriffen und beleidigt. «Die rechte Gesinnung hat sich verfestigt», sagte Kaltenbach mit Blick auf einen 19-Jährigen. Bei allen Angeklagten liege eine «schädliche Neigung» vor. Die Verurteilung erfolgte nach Jugendstrafrecht. 

Die Strafen für einen 17- und einen 20-Jährigen werden laut Gericht zunächst nicht vollstreckt. Die beiden erhielten eine Chance, sich zu bewähren, so das Gericht. 

Polizeibeamtin: «Eine kampfbereite Gruppe»

Die Angeklagten waren am Tatort festgenommen worden. Drei kamen bis zum Prozess in Untersuchungshaft. Ein 19-Jähriger hatte zu Verhandlungsbeginn Anfang Mai gestanden. Er habe seine Gesinnung «auch mit Gewalt zum Ausdruck bringen wollen», erklärte er. Es tue ihm leid, er habe sich auf einem «Irrweg» befunden. Ein 20-Jähriger äußerte ebenfalls Bedauern. «Es war nicht geplant, es hätte nicht dazu kommen dürfen», hieß es in seiner Erklärung. Er bitte um Entschuldigung. 

Eine Polizeibeamtin hatte im Prozess geschildert, es sei eine «kampfbereite Gruppe» gewesen. Einer der Männer habe gerufen, er sei «stolz, ein Rechter zu sein». Sie seien nach Berlin gekommen, «um Linke zu prügeln». In den Augen habe sie Hass und Wut wahrgenommen, berichtete die Beamtin. Pöbeleien und rassistische Beleidigungen seien gerufen worden. Einer der Angeklagten habe die Gruppe weiter aufgeheizt. Sie habe sich bedroht gefühlt: «Vergleichbares habe ich noch nicht erlebt.»

Staatsanwältin Nicola Schmidt beantragte in ihrem Plädoyer Jugendstrafen zwischen zweieinhalb und drei Jahren und vier Monaten. Verteidiger sprachen in ihren Plädoyers von einem «gruppendynamischen Geschehen unter Alkohol». Zwei der Anwälte plädierten auf Bewährungsstrafen, einer auf eine Verwarnung, der Anwalt eines 17-Jährigen forderte Freispruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.